Wir kennen uns jetzt seit 36 Jahren, Kalle, mehr als die Hälfte unseres Lebens

In der Gründungszeit der taz waren wir nicht immer derselben Meinung. Aber das habe ich dann auch gesagt, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Und bei einem der wichtigsten Streitpunkte, externer Investor oder Aufbau einer eigenen finanziellen Basis über eine taz-Genossenschaft, hast du den kreativen Weg gewählt, den ich damals für nicht realistisch hielt. Und du hast recht bekommen.

Jede und jeder in der taz weiß, dass du ein Schlitzohr sein kannst (aber das haben ich und andere auch schon oft gesagt), schon weil die Mischung aus deiner festen Verankerung in den zentralen taz-Gremien (wenn das keine Erfolgsstory ist: seit 35 Jahren an der Spitze eines Unternehmens, über Dutzende von Gesellschaft-Konstruktionen hinweg und trotz erheblicher innerer Turbulenzen) und deinem Stil, eher still im Hintergrund zu wirken und beharrlich deine Ziele zu verfolgen, wenig Transparenz aufkommen lässt. Da hat es schon viel Geheul gegeben.

Allerdings hat sich einiges verbessert im Laufe der Jahre. Als ich vor sechs Jahren wieder zurück zur taz kam, ist mir schnell als wohltuend aufgefallen: Inzwischen sind in der taz funktionale innere Strukturen aufgebaut, die zudem Kreativität zulassen. Doch durch die Finanzen – vor allem deren versteckten Potenziale – blicken die (weitaus meisten) taz-Mitarbeiter auch heute nicht durch. Das ist vor allem deine Spielwiese, bleibt deine Machtbasis.

Weil du dein Wirken nicht an die große Glocke hängst, bleibt deine Offenheit für kreative, neue Ansätze und Ideen eher unbemerkt. So weiß kaum jemand, dass es dir zu verdanken ist, dass die taz in Berlin (statt in Frankfurt/M.) erscheinen konnte: Gemeinsam mit Gudrun K., Heiner K. und Dieter M. hast du im Herbst 1978 einen nationalen Vertriebsweg von Berlin aus für die taz ausgetüftelt.

Damals, vor der elektronischen Zeit, schien es schier unmöglich, eine Tageszeitung ausgerechnet von der Insel Westberlin aus in die gesamte Bundesrepublik zu vertreiben (und die Besserwisser der Branche höhnten schon deshalb: alles unprofessionell). Für dich aber war damals klar: Weil deine Frau als Lehrerin das Land nicht wechseln wollte oder konnte, gab es für dich in der taz nur eine Zukunft, wenn diese in Berlin entsteht. Also habt ihr euch hingesetzt und gegen alle Erwartung der Frankfurter taz-Initiative einen Weg gefunden – inklusive einiger unkonventioneller Komponenten: Redaktionsschluss war am Anfang so gegen 12.30 Uhr, und damit es nicht noch eine Stunde früher sein muss, wurden die Druckvorlagen, die täglich nach Frankfurt mussten, das ganze erste Jahr 1979/80 von einem anderen taz-Mitarbeiter als Handgepäck in den Flieger mitgenommen - da reichte es, 10 oder manchmal auch nur 5 Minuten vor Abflug am Tegeler Flughafen zu sein.

Inzwischen ist der taz-Verlag mit seinen verzweigten Angeboten mehr als ein Zeitungsverlag, er managt die Marke „taz“ und entwickelt sich dank der Bereitschaft, immer wieder Neues auszuprobieren. Diese kreativen Spielräume gerade im Verlagsbereich sind inzwischen vielleicht die wichtigste Eigenart der taz – nachdem sie auf der redaktionellen Ebene immer mehr ihre frühere politisch-engagierte Besonderheit verliert, seitdem Lifestyle die Zeitung für neue Leserschichten öffnen soll, aber leider in Überdosis verabreicht wird. Allerdings ist die Welt kompliziert: Du bist leider auch dieser Entwicklung gegenüber zu offen. Aber das habe ich dir auch schon gesagt. Vielleicht wäre es wirkungsvoller, wenn du häufiger bei taz-Reisen mitfährst und dann Reisenden gegenüberstehst, die als jahrzehntelang treue taz-LeserInnen über die Beliebigkeit und uninteressante Themenwahl der Sonntaz klagen.

Jedenfalls: Ihr Überleben als besonderes Medium verdankt die taz dem Verlag, nicht (mehr) der Redaktion. Und das ist nicht zuletzt dein Verdienst. Musste dies mal gesagt werden? Thomas Hartmann (Thoha)

■ Thomas Hartmann, Gründungsmitglied der taz; erster Chefredakteur, damals verschämt „Freigestellter“ genannt, vom Herbst 1984 bis Ostern 1987