piwik no script img

Wir hoffen auf die Leser und auf Kerr

betr.: „Der Kaiser strahlt“ (Rezension des Alfred-Kerr-Buches „Mein Berlin“), taz vom 28. 9. 99

Beiseite lasse ich die seltsamen Meinungen Herrn Sundermeiers über Alfred Kerr als Arschloch, borniert und selbstisch. [...] Dass sich der Renzensent aber so wenig mit dem Buch befasst hat, dass er dessen Intention verkennt und sachlich falsche Schlussfolgerungen in die taz-Welt setzt, sei doch angemerkt.

Weder handelt es sich bei den Texten um „gerade mal vereinfachte“ Fassungen, sondern um ausgewählte, exakt datierte und jederzeit nachprüfbare Passagen, die von dem Herausgeber der Berliner Briefe, Günther Rühle, auf originelle Weise zusammengestellt wurden; das Prinzip der Zusammenstellung wird zudem erläutert. Auch handelt es sich bei der vorliegenden Edition weder um ein Berlin-Kompendium à la „Berlin um 1900“ noch um ein Kerr-Brevier, sondern um eine Sammlung der pointiertesten, verblüffendsten und kritischsten Feuilletons, die den Leser zu charakteristischen Berliner Orten führen, die er heute noch aufsuchen kann. Gerade keine Blütenlese ist beabsichtigt, sondern thematische Konzentration auf die Metropole im Wandel. Dieser Konzeption entsprechen Auswahl und Anordnung der historischen Fotos, von denen der Rezensent gleich zweimal behauptet, sie seien „lieblos dazuplatziert“ bzw. sie seien „kaum neu oder erhellend“. Ein Teil der Abbildungen, die im Fundus der genannten Archive und Museen ausgesucht und nicht etwa als En-gros-Lieferung über Fax bestellt wurden, sind bisher unveröffentlicht. Andere sind zum Teil so unbekannt, dass ihre Veröffentlichung einer Erstpublikation gleichkommt. Und schließlich sind die bekannten Motive so exzellent reproduziert, dass sie, zumal im Kontext der Kerrschen Formulierungen, zu einer neuen Bildbetrachtung anregen.

Es rätselhaft zu finden, dass der Verlag aus einem 700-Seiten-Band eine thematisch prägnante und zudem höchst aktuelle Auswahl trifft, lässt auf völliges Unverständnis verlegerischer Arbeit schließen. Wenn man von der falschen Voraussetzung ausgeht, dass „Mein Berlin“ (34 Mark) fast genauso teuer sei wie die vollständige Ausgabe (79,90 Mark), kann man sich in einer solchen Attitüde gefallen.

Wir hoffen weiterhin auf die Leser und auf Kerr selbst: „Es muß auf die Dauer doch immer mehr Leute geben, welchen die Komik dieser Verhältnisse ein bißchen die Galle in Bewegung setzt.“ Doch leider sah er sich auch veranlasst, zu der Feststellung: „Das deutsche Volk läßt sich heut beinah alles gefallen, was Taktloses in Wort und Willkürliches in Handlungen ihm geboten wird.“ Magdalena Frank,

Lektorin der Kerr-Edition, Aufbau-Verlag

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen