corona in bremen
: „Wir haben noch viele Freiheiten“

Foto: privat

Christoph Sülz 40, ist Psychotherapeut und Mitglied im Vorstand der Psychotherapeutenkammer Bremen.

Interview Alina Fischer

taz: Kann man Menschen online therapieren, Herr Sülz?

Christoph Sülz: Ja, kann man.

Was ist anders?

Per Video sieht man nur einen bestimmten Ausschnitt des Menschen. Ich habe weniger Information zur Verfügung, kann zum Beispiel eine Anspannung im Körper nicht sehen. Ich erlebe das aber nicht als starke Einschränkung. Es fordert mich zu einer anderen Art des Arbeitens heraus. Ich muss mehr erfragen.

Haben sich durch die Pandemie die Probleme der Patient*innen verändert?

Ja, das hat sich etwas verschoben. Am Anfang gab es zwei Gruppen: Diejenigen, die sehr unter den Einschränkungen gelitten haben, weil soziale Kontakte und Aktivitäten für ihre Gesundung wichtig sind. Und diejenigen, die sich gut arrangieren konnten. Das waren zum Beispiel Menschen mit Ängsten, für die es eine Belastung darstellen kann, rauszugehen. Die mussten sich nicht mehr den Bedrohungen des Alltags aussetzen. Jetzt erleben wir zunehmend die Folgen von wirtschaftlichen Problemen, auch bei bisher stabilen Menschen. Es ist zunehmend Erschöpfung da. Neben der finanziellen Belastung liegt das auch an der fehlenden Struktur durch Kurzarbeit.

Gab es 2020 einen Anstieg an Anfragen auf die Praxen?

Gefühlt ja. Generell ist die Nachfrage nach Therapie sehr hoch. Zu Beginn der Pandemie gab es mehr Zurückhaltung, überhaupt in die Praxis zu kommen, um sich nicht zu infizieren. Über den Sommer ist die Nachfrage wieder etwas angestiegen und seit Oktober erlebe ich, aber auch andere Kolleg*innen, eine erhöhte Nachfrage.

Wie hat sich die Arbeit für Sie persönlich verändert?

Wir erleben mehr Belastung im Praxisalltag, allein durch die Hygienekonzepte, die wir beachten müssen. Auch die technische Umstellung ist mehr Aufwand. Das kostet nicht viel Energie, aber in der Summe und über die lange Dauer dann eben schon. Für mich persönlich, als Vater zweier Kinder, die nun auch wieder zu Hause sind, bedeutet es eine Umstellung der Arbeitszeit und Organisation. Das ist mehr Belastung, die ich aber gerne in Kauf nehme. Schließlich haben wir das Glück, arbeiten zu können und als Selbstständiger kann ich flexibel in der Planung sein.

Wir sind mitten im zweiten Lockdown. Was raten Sie den Menschen?

Trotz Einschränkungen haben wir noch viele Freiheiten. Das muss man sich, glaube ich, bewusst machen. Auch im Lockdown kann ich meinen Alltag aktiv gestalten, um mich gesund zu halten. Das gibt uns ein Gefühl von Kontrolle. Und das ist wichtig, damit wir uns nicht hilflos und ausgeliefert fühlen.

Unter der bundesweiten Rufnummer ☎ 116 117 vermittelt die Kassenärztliche Vereinigung Termine für Psychotherapie