: Wir beide, Frau Dr. Trüpel!
■ Alle für Walle: Warum das Ernst-Waldau-Theater vielleicht doch noch ein neues Leben anfangen darf
Ein Redner nach dem andern senkte den Kopf und rannte gegen die Kultursenatorin; diese aber wankte nicht. Nein, sie halte an ihrem Beschluß fest, dem Ernst-Waldau-Theater für die nächste Spielzeit nur noch 800.000 Mark zu geben statt vordem anderthalb Millionen. Das aber wollte weder dem Waller Beirat, der sie geladen hatte, noch dem versammelten Volk des Westens so recht einleuchten: „Dann ist das Theater doch erledigt!“ hörte man immer wieder rufen; und des Klagens war an diesem Montag kein Ende.
„Haben wir nicht alle Auflagen der Behörde erfüllt“, fragte Friedrich „Sparkasse“ Rebers für die Waldau-GmbH in den Großen Theatersaal hinein. „Haben wir schließlich nicht mit Michael Derda auch noch einen künstlerischen Leiter gefunden für den Neuanfang, wenn auch spät?“ - „Zu spät“, antwortete da die Kultursenatorin Trüpel. Zwar habe sie in einem ersten Gespräch vor wenigen Tagen einen sehr vorteilhaften Eindruck von Herrn Derdas Plänen gewonnen, aber der Haushalt des Kulturressorts sei nun einmal schon fix und fertig: „Jetzt ist das Geld weg“.
Diese Feststellung beschwichtigte den Saal keineswegs. Schauspieler, Vereinspräsidenten, Honoratioren erhoben sich und bewarfen die Senatorin mit allen erdenklichen Zuschauerzahlen und Bekenntnissen zur Sache des Niederdeutschen. Die Senatorin hatte andere Zahlen und andere Bekenntnisse; und als sie die Belange der anderen Bühnen verteidigte, die ja auch gerne leben, hielt es den dicken Rechtsanwalt Gätjen nicht mehr auf seinem Stühlchen. Namens der Waldau-GmbH schluffelte der gefürchtete Redner nach vorne: „Nächst der Musik“, rief er aus, und sogleich versank der Saal in tiefem Frieden, „nächst der Musik gehört meine Liebe dem Theater“, fuhr der Unbeirrbare fort, und alles blinzelte wie von Zauberhand gewiegt, während der Furiose für den Neuanfang des Waller Theaters predigte, bis vollends die Letzten ermatteten.
„Ich sage eines noch mal ganz deutlich“, sagte die Kultursenatorin, die vielleicht dachte, nun sei es halbwegs ausgesessen: „Wenn ich Ihnen die fehlende halbe Million besorgen wollte“, sagte sie, „müßte ich sie anderen wegnehmen!“ - „Ja, klar!“ rief's unverhofft von allen Seiten zurück, und sogleich belebte sich die Versammlung wieder. Dem Goethetheater wollten's die einen wegnehmen und der Shakespeare-Company die andern. Die einen begehrten das Geld für den Plattenweg zum Kongreßzentrum, und die andern drohten, unter den teuren Volksvertretern aufzuräumen. Da aber sprang der Waller Bürgerschaftsabgeordnete Weichelt (SPD) aus der Deckung und gab zu bedenken, daß es doch jetzt schon zu wenig Parlamentarier gebe, um die Belange des Westens zu vertreten, ja daß man geradezu noch mehr davon bräuchte!
Als die Verwirrung am größten war, fuhr der Donnerer Reineking-Drügemöller drein und brachte alles auf den Klassenbegriff: Wer dem Bildungsbürgertum seine Erbauungsstätten bezahle, dürfe auch dem Waller Volk sein Abendvergnügen nicht verwehren. Der neue Waldau-Chef Derda sprang ihm bei und hielt auf offener Bühne eine hinreißende Rede, betreffend die Zukunft seines Hauses: Mit Kabarett, Boulevard und Plattdeutschem von Rang sei ihm der Erfolg doch gewiß; ja er fühle sich imstande, in zwei, drei Jahren ganz ohne staatliche Unterstützung auszukommen, jedenfalls fast ganz. „Mensch“, rief er aus, „Frau Dr. Trüpel, fassen sie Mut! Sowas spräche sich doch rum: Wir könnten das Dream Team werden, wir beide!“
Weil auch Helga Trüpel nicht bestreiten mochte, daß dem Neuen die nötige Zukunftsgewißheit eignet, war man sich am Ende doch noch einig: Das Ernst-Waldau- Theater kann davon ausgehen, daß es im übernächsten Haushalt wieder in altem Umfang berücksichtigt wird. Das Geld für die Übergangszeit fehlt aber immer noch. Der Beirat beschloß zwar einstimmig, die Bürgerschaft um eine Sonderbewilligung dieser Mittel anzugehen, man hielt es aber im Saale dennoch für klug, sich schon einmal anderweitig umzutun. Ob nicht der „Tombolakönig“ Rebers noch eine Idee habe, hieß es. Und Rebers schwieg überaus verschmitzt. Manfred Dworschak
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