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Archiv-Artikel

Wir Ladenkinder

Die Kinderläden

Im geschwätzigen Jubiläumsjahr kamen die Kinderläden nicht oder nur in Nebensätzen vor. Oder in diesem eigenartig hysterisierten Sound wie bei Sophie Dannenberg, selbst ein ehemaliges Ladenkind. Diese behauptete auf einer Veranstaltung im Mai dieses Jahres allen Ernstes, die antiautoritäre Erziehung sei in erster Linie eine „Anleitung zum Kindesmissbrauch“ gewesen. Bei anderen Gelegenheiten war die Autorin der Meinung, Kinderläden seien „kryptostalinistische“ Umerziehungslager gewesen, die die „Entstrukturierung der Welt“ befördern. Die Wirklichkeit war harmloser, widersprüchlicher und vergnüglicher zugleich. Die Mütter waren es, die sich am politischen Aufbruch beteiligen wollten und deshalb 1968 in Berlin begannen – wie zuvor schon in Frankfurt – die Betreuung ihrer Kinder in leer stehenden Ladenwohnungen zu organisieren. Staatliche Kindergarten und -hortplätze waren knapp, die Erziehung war dort autoritär, und die dazugehörigen Männer zeigten sich tendenziell desinteressiert. Während des Internationalen Vietnamkongresses im Februar 1968 galt es, das Problem der Kinderbetreuung zu lösen. Daraus entstand im neu gegründeten „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“ die Idee der gemeinschaftlichen Kindererziehung, zunächst als eine Art Selbsthilfe. Zum aufblühenden Feminismus kamen später die Impulse der Reformpädagogik, die auf Kinderbefreiung und Selbstverwaltung setzte. Der wenig später gegründete „Zentralrat der sozialistischen Kinderläden“ versuchte, den antiautoritären Anteil zugunsten einer „proletarischen Erziehung“ zurückzudrängen. „Der Versuch, möglichst schnell andere Bevölkerungsschichten mit unseren Kinderläden zu erfreuen, mag darauf zurückzuführen sein, dass sich die Männer nach wie vor weigern, ihre eigenen Konflikte zu artikulieren. Im Augenblick haben wir der Arbeiterschaft nichts zu bieten“, kommentierte Helke Sander dieses Ansinnen in ihrer berühmten Rede auf dem SDS-Delegiertenkongress im September 1968. Das Kinderladenexperiment konsolidierte sich, aus den autonomen wurden staatlich bezuschusste Kinder- und Schülerläden. Man zahlte nach Einkommen, ließ sich zu Koch- und Putzdiensten einteilen und diskutierte auf wöchentlichen Elternabenden die kindliche Psyche. Was die ersten von den heutigen Läden – neben einer ausgeprägten Diskussionswut – unterschied, war vor allem, dass dort stabile Gruppen beieinander waren, die schon vor der Schule zusammenkamen und sich die Schulzeit hindurch begleiteten. Der Laden, von dem in diesem Beitrag die Rede ist, wurde Anfang 1969 in einer ehemaligen Tischlerei in Wilmersdorf bezogen. Er funktionierte rund zwanzig Jahre lang als Kinder- und später als Schülerladen. Danach hatte ihn eine neue Initiative bezogen, die dort – wenn auch um einiges pragmatischer organisiert – noch weitere sechzehn Jahre als einer von 180 senatsgeförderten Schülerläden verblieb. 2007 wurden die Berliner Schülerläden dann geschlossen, die Kinderbetreuung wird von nun an im schulnahen Hort abgewickelt. Neben Anna Freud, Wilhelm Reich oder Erich Fromm war vor allem der Brite Alexander S. Neill ein wichtiger Stichwortgeber der Kinderladenbewegung. Sein Klassiker über die 1921 gegründete freie Schule Summerhill wurde in Deutschland 1969 bei Rowohlt unter dem Titel „Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung“ veröffentlicht – übrigens ein Begriff, den Neill selbst gar nicht verwendete. Er bezeichnete sein Konzept vielmehr als selbstregulative Praxis. Bei Kindern beliebter war sein Abenteuerbuch „Die grüne Wolke“, 1971 erstmals bei Rowohlt erschienen: eine tolle Gute-Nacht-Geschichte, in dem auch das eine oder andere Blutbad vorkommt. Doch als V-Effekt, die das Gemetzel auf Abstand halten, sind nach jedem Kapitel die Spontankritik der zuhörenden Kinder eingebaut. Kindliche Gewaltfantasien, so Neill, wollen erst mal – gedanklich – ausgelebt werden, bevor sie sanft entschwinden können.

Selten war im 68er-Diskurskonzert von den Frauen zu hören, erst recht nicht von den Kindern. Unsere Autorin hat sich auf Spurensuche nach ihrem alten Kinderladen begeben

VON ANNE HUFFSCHMID

Ob wir uns nach fünfundzwanzig Jahren überhaupt wiedererkennen? Ich stapfe zwischen den bunten Wagen umher, Hunde streunen durch das hohe Gras, junge Menschen grüßen freundlich hier und da aus dem Gebüsch. Schon aus der Ferne sehe ich sie stehen, zwischen Gewächsen und hölzernen Verschlägen. Breitbeinig, mit kariertem Hemd und Schiebermütze. Sie grinst, unverwechselbar, und winkt einem jungen Mann: „Das ist die mit der Zahnpasta.“

Offenbar, so muss ich mir wenig später erzählen lassen, hatte ich einst die kleine Eve ins Kabuff über der Küche unseres Kinderladens gelockt, gefesselt, „verhört“ und ihr dabei Zahnpasta ins Gesicht geschmiert. Das Spiel hieß „Foltern“, eine Komplizin hatte gackernd danebengestanden, keiner kam zu Hilfe. Eve lacht mich herausfordernd an. Ganz vergessen? Langsam steigen, wie ein sanftes Blubbern von tief unten, die Erinnerungen wieder hoch. Bilder, Töne, Szenen. Tatsächlich, Folterspiele waren beliebt, „Pinochet“ stand hoch im Kurs. Aber wir sind doch auch als „Partisanen“ durch den Grunewald gesaust. Das kam von Johannes Agnoli, der seine Tochter im Laden hatte. Johannes hat uns auch „Bella Ciao“ beigebracht. Bella hieß „schön“, so viel haben wir damals schon verstanden, und so habe ich mir die Revolution dann immer vorgestellt: irgendwie saftig, sinnlich, italienisch gewissermaßen. Im Grunde hat sich daran bis heute wenig geändert.

Eve war das Nesthäkchen, die Kleinste, Frechste, Mutigste. Wenn jemand mit wilden Tieren gespielt hat oder irgendwo ganz hoch raufgeklettert ist, dann war sie es. Kein Wunder, dass sie heute so lebt, wie sie lebt. Nach ein paar herben Jahren auf der Straße, über die sie knapp berichtet, hat sie sich 1993 in der Wagenburg an der Lohmühle niedergelassen, an der Wassernaht zwischen Kreuzberg und Treptow. Dort essen wir Kuchen vor ihrem schnieke ausgebauten Schaustellerwagen, drum herum wuchert ihr botanisches Reich: Ananas-Basilikum, Orangen-Thymian, peruanischer Mais!

Ich treffe andere „Kinder“. Unsere Erinnerungen greifen ineinander, ergänzen und widersprechen sich. Was bei uns allen auftaucht, mit einem kleinen Juchzer, ist die Chemie. Wörtlich: die Reagenzgläser, die scharfen Dämpfe und bunten Pülverchen, die alle kreuz und quer ineinandergeschüttet wurden, das großartige Zischen und Brodeln. Unsere besorgten Eltern mahnten den Erzieher auf den wöchentlichen Plenen immer wieder und verdonnerten ihn schließlich, den Chemikalienkoffer wegzuschließen. Manches Loch wurde in den Teppich gebrannt. Aber keiner hat je ein Schlückchen getrunken.

„Wir kannten unsere Grenzen“, sagt Eve und klingt sehr überzeugt. Tatsächlich gab es wenig Verletzte, gemessen an den vielen Gefahrenquellen. Herumklettern in leer stehenden Villen, zu zwölft in einem VW-Käfer kutschiert werden („Immer wenn die Bullen kamen, guckten nur fünf Köpfe aus dem Fenster“), mit selbst gebauten Flößen übern See. „Wir wussten ja, was wir tun. Wenn du aber jemanden, der nie was darf, so einen Flitzebogen gibst – der schießt nicht über die Dächer, der schießt auf das Nächste, was sich bewegt.“ Mit pädagogischen Theorien hat Eve nichts am Hut. Es ist die pure Erfahrung. Flitzebogen und scharfe Pfeile waren nicht die einzigen Waffen, es gab Schwerter, Pistolen, auch Maschinengewehre. Unser Erzieher sei „nun mal ein Waffenfetischist“ gewesen, meint Eve. Alles musste aus Holz sein. Ohne alles anthroposophisches Tamtam, einfach weil es länger hielt. „Natürlich waren wir scharf auf Plastikpistolen oder Plastikgewehre. Aber die haben ja nichts getaugt, einmal bum, bum!, und dann waren sie wieder kaputt.“ Ein wahrer Wahn des Selbermachens: die Holzgewehre, die fahrradgetriebenen Autos, die Fransenportemonnaies, die wir auf dem Ku’damm verkauften.

„Ich sehe mich da immer sägen“, sagt Anna, als ich sie nach ihren Bildern frage. Heute arbeitet sie als Bühnenbildnerin. „Vielleicht wäre ich das nie geworden, wenn ich das nicht alles schon als Kind gemacht hätte: das ganze Werken, Modellbauen, auch das Verkleiden …“ Letzteres war auch meine Lust: Raumfahrerin, Piratin oder, am liebsten und auf einer hohen Leiter thronend, Königin mit vielen, vielen Sklavinnen unter mir. Mit Political Correctness blieb man uns gottlob vom Hals. Beim Handwerken hingegen muss ich grade immer ganz woanders gewesen sein. Regale anbringen gehört, gelinde gesagt, bis heute nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Eve hingegen erinnert: „Ich konnte gerade mal laufen, da habe ich schon eine Bohrmaschine in die Hand gekriegt.“ Man habe so viel dabei gelernt, schwärmt sie: die eigene Kraft einsetzen, dranbleiben, nicht aufgeben, etwas nach dem eigenen Kopf entstehen lassen, Misserfolge verkraften. Heute gehört das vermutlich in jeder Kita zur erzieherischen Grundausstattung.

Ohne unseren Erzieher wär nichts von alledem gewesen. Der eigentlich gar keiner war, sondern ein „abgebrochener Chemiker“, wie Wolf erinnert. „Und das war auch gut so.“ Der hat uns vor dem Psychologisieren bewahrt, vor den Floskeln der sozialistischen oder antiautoritären Kindererziehung. „Sein Credo war: Was dürfen Kinder normalerweise nicht? Gut, das machen wir.“ Das durch den Straßen hallende „Ru-di-Dutsch-ke“ oder „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“ war ein fernes Echo, ein vertrauter Soundtrack unserer Kindheit wie Janis Joplin oder Rolling Stones. Genau genommen aber waren wir ziemlich abgeschottet von der Außenwelt. Die begann schon auf dem Spielplatz vor unserer knallrot lackierten Ladentür. Da gab es eine Straßengang, erinnert Eve. Wir waren interessant für die Kids da draußen, hatten ja halb Europa bereist, und dann diese tollen Demo-Storys. „Die wollten immer alles wissen – die kannten ja selber nicht mehr als den Spielplatz oder das Heim, in dem sie wohnten.“ Doch wir hatten auch Angst vor den wilden Kerlen da draußen. Unser Selbstbewusstsein und auch unsere Furcht kamen zuweilen wohl als Hochmut rüber. „Schülerladen, Schweinebraten, hat die ganze Welt verraten“, hat man uns damals nachgerufen. Auch drinnen gab es ein paar dunklere Ecken. Einer von uns, der hat „immer auf die Mütze gekriegt“, wie Eve sagt. Ist nackig durch den Laden gerannt und hat die Mädchen genervt. Dem soll ich immer mal wieder an die Gurgel gegangen sein, und er mir. Ich selbst erinnere nur vage zorniges Gerangel.

Die meisten aber hatten es eher leicht, der Laden hat uns sicher gemacht. „Das war unsere Insel“, sagt Anna. Da kam einem keiner blöd, da konnte man alles ausprobieren. In der Schule sei man „erst mal als eine Art Alien“ wahrgenommen worden. Dass wir zusammen eingeschult wurden, sei ihre „Rettung“ gewesen. „Ich war draußen so extrem schüchtern, dass ich mich noch nicht mal getraut habe, nach einem neuen Heft zu fragen, wenn meins voll war. Da habe ich immer dich vorgeschickt.“ Sie lacht. Anna kenne ich so lange wie außer meinen Eltern sonst niemanden auf der Welt. Nach vielen Jahren in der Ferne sind wir beide wieder in Kreuzberg gelandet, fast um die Ecke, ihr Sohn ist mein Patenkind.

Ersatzfamilie? Großes Nicken. „Das war ganz klar Familie“, sagt Eve. „Ob Ersatz, weiß ich nicht. Ich wusste ja gar nicht, was eine Familie ist.“ Die meisten waren Einzel- und fast alle Trennungskinder, viele beides. Man verreiste, feierte Weihnachten, schlief beieinander. So wie ich und Anna sind auch ihr Bruder und ein anderer Ehemaliger, Sascha, bis heute befreundet. Jeden Sonntag spielen sie Fußball. Sonderlich rebellisch waren wir nicht. „Wir brauchten ja nicht zu rebellieren, wir sind ziemlich behütet aufgewachsen“, meint Wolf, Eves großer Bruder. „Auflehnen mussten sich eher die anderen, die aus den spießigen Elternhäusern kamen.“ Natürlich haben wir später in den Achtzigern Schülerzeitungen gemacht und Häuser besetzt. Die Deutschlehrer haben uns dafür freigegeben, unsere Eltern haben uns zum Frühstück erwartet.

Wolf ist der Einzige von uns, der geheiratet hat. Er lebt heute im beschaulichen Wilmersdorf, hat – auch fast als Einziger – zwei Kinder und verdient sein Geld als Softwareentwickler. „Mein Bruder hatte immer den Wunsch nach Familie und Geborgenheit“, sagt Eve, ohne Häme. Und er sagt, ein paar Tage später, das Gleiche: „Mein Leben ist lange nicht so exotisch wie das meiner Schwester. Ich besuche sie gerne. Aber ich möchte auch gerne in meiner Wohnung, in meinem netten spießigen Kiez wohnen und auf dem Balkon sitzen. Ich fühle mich da sehr wohl.“ Er klingt nicht trotzig, eher ein wenig erstaunt.

Dann sind da die erzählten Erinnerungen, zu denen es keine Bilder von innen gibt. Das Stern-Titelbild über „Deutschlands unartigste Kinder“, wo ein paar Gören am Minirockzipfel einer Langbeinigen zerren. Dann der elterliche Beschluss, die Redaktion mal mit ein bisschen Farbe zu besuchen. Die perplexen Redakteure, die mit Gummibärchen das Kinderrollkommando erfolglos von ihrem Ansinnen abhalten wollten – eine hübsche Nummer, da soll ich dabei gewesen sein. Oder Romy Schneider, die sich bei uns im Laden „beworben“ haben soll, um ihren kleinen Sohn unterzubringen. Das Elternplenum habe aber beschlossen, dass nicht zu erwarten sei, dass Romy Schneider Putzdienste verrichten werde. Oder „Ulrike“, die mit unserem Erzieher in einem Arbeitskreis gesessen hat und mit unseren Müttern im Weiberrat. Woran ich mich dann wieder selbst erinnere, ist, wie die Klassenlehrerin uns in einen Kreis setzt, ein Fahndungsplakat hervorholt und vor den finster blickenden Männern und Frauen darauf warnt. Wie mein kleiner Zeigefinger in die Luft schnellt. „Ulrike Meinhof – die kennt meine Mama auch.“ Wie die Klassenlehrerin erbleicht.

Schon unsere kleine Truppe lässt sich auf keinen Nenner bringen, kein Weg gleicht dem anderen. Ein paar Dinge aber fallen doch ins Auge: Wir haben keine Karrieren, zumindest nicht im geläufigen Sinne, und auffällig wenig Kinder gemacht. Einige sind ihren Leidenschaften gefolgt, dem Theater, der Architektur, der Videokunst, schreiben oder forschen. Andere schlugen Zufallskarrieren ein, manche jobben. Leistungsdruck kannten wir nicht, keiner hat uns in eine Richtung geschubst. Ehrgeiz entwickelte sich eher beiläufig, eine Art schlenderndes Lebensgefühl. Keiner ist heute unter dem Banner des ausdrücklich Politischen unterwegs, weder in- noch außerhalb des Establishments. Alle leben in der Kleinstfamilie, zu zweit oder allein. Alles in allem recht bürgerliche Existenzen. Doch so gut wie keine ist fest angestellt. Vielleicht ist es das, was uns bei aller Verschiedenheit doch ähnlich macht: dass wir als „Gasthörer“ durchs Leben gehen, wie Sascha es nennt.

So ist er selbst durch die Welt spaziert: ausschwärmen, überall mal reinhören. Mit Anfang zwanzig durch Amerika, Hotdogs verkauft und Tabak gepflückt, weiter gen Süden, zur Kaffeeernte im postrevolutionären Nicaragua. „Ich wollte mithelfen“, es klingt noch heute denkbar unprätentiös. In der deutschen Solidaritätsbürokratie zunächst an „ideologisch verblendete Dummpfeifen“ geraten, dann ein paar Monate bei der sandinistischen Jugend. Gelernt, dass das Politische nur eine Dimension im Leben real existierender Revolutionäre ist – der Idealismus unserer Kindheit, das Pathos um Aufstand und Widerstand, wurde auf die Füße gestellt. In Berlin schnell ein BWL-Studium durchgezogen, auf Windkraftanlagen spezialisiert, in diversen Firmen gearbeitet, die Fühler nach Osten ausgestreckt. Moskau, Sibirien, die Mongolei. Heute arbeitet er als freier Unternehmensberater, bereitet Firmen darauf vor, sich im Ausland niederzulassen. „Struktur in Teams und Projekte bringen“, das könne er.

Ausgerechnet. Aber womöglich kann man das wirklich gut, wenn man seine ganze Kindheit lang gebastelt hat. Wenn alles immer im Werden begriffen und nie gegeben war. Auch Hierarchien oder Autoritäten nicht. „Die habe ich nie für voll genommen“, sagt Sascha schlicht. „Sich nicht so schnell vom Feld bluffen und in seinen Ideen beschneiden lassen“, nennt es Wolf. Skeptisch gegenüber Macht, Vorschriften und Autoritäten. „Nicht überlegen, ob man das jetzt darf oder nicht – einfach machen.“

Vielleicht sind die Läden ja überflüssig geworden. Sascha jedenfalls will seine Tochter heute nicht separieren, kein Waldorf, kein Montessori. „Ich möchte, dass sie ganz normal aufwächst“, sagt er. Doch da hat sich offenbar was verschoben im Feld des Normalen. Zwar war für uns damals normal, in Villen herumzuklettern und „Bella Ciao“ zu singen. Che, Rudi und Ulrike gehörten zur Familie wie entfernte Verwandte. Zugleich aber war da immer das Bewusstsein, dass die Welt um uns herum anders tickt. Selber machen, selber denken, selbst bestimmen – sollte das heute wirklich normal geworden sein?

Eve und ihr Gefährte sind inzwischen weitergezogen. Weg von der Lohmühle („wurde zu chaotisch“), nach Brandenburg. Dort kümmern sie sich um alte Kulturpflanzen und züchten neue Sorten, sind Experten für „Pflanzenfreundschaften“ und setzen „Laufenten zur Schneckenregulierung“ ein – natürlich alles gegen fiese Saatgutmonopolisten. Ihre Ökosamen kann ich bei mir im Laden kaufen. „Keimzelle“ heißt die Marke. Schöner Name.

ANNE HUFFSCHMID, Jahrgang 1964, war Mexiko-Korrespondentin der taz. Sie lebt als Autorin und Kulturwissenschaftlerin in Berlin und Mexiko-Stadt