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Winterzeit – SockenzeitKunst aus der Waschmaschine

■ Einzelne Socken bevölkern wie Wesen aus einer anderen Welt unsere Schränke und Wäscheständer. Der Umgang mit ihnen reicht vom Wegsperren übers Wegschmeißen bis zum Aufheben bis zum Jüngsten Tag

„Ich hab' ja 'ne Zeitlang verschiedene getragen, um zu zeigen, dass das auch geht. Aber dann hab' ich gemerkt, das fällt doch auf.“ Die Menschen sind so klug. Sie entwickeln Lösungen für nahezu unlösbare Probleme und sie sind reflektiert genug, um diese Lösungen dann auch wieder zu verwerfen. Womit sie wieder am Anfang des Problems stehen.

Das Problem könnte man „Die-Dematerialisierung-einzelner-Bekleidungsstücke-die-sonst-paarweise- auftreten“ nennen. Oder kurz: das „Socken-Problem“. Nach jeder Maschine Wäsche, die man aus der Schleuder pult und mit der man sich an den Wäscheständer begibt, das gleiche ungute Vorgefühl. Wie viele werden es diesmal sein? Zwei? Wie beim letzten Mal? Oder noch mehr? Wird einer der vermissten von letzter Woche dabei sein? Es wird doch wohl hoffentlich nicht der wieder auftauchen, von dem man sich nach halbjährigem Warten aufs Geschwisterchen doch Richtung Mülleimer getrennt hat?

Doch. Es ist natürlich der türkisfarbene dabei bei dieser Portion Wäsche.

So bricht das Unheimliche ein in unseren Alltag. Verschollen, ein ganzes halbes Jahr lang. Dann wieder da, ohne Grund und ohne dass ihn vorher jemand in die Wäsche getan hätte. Ein Zauber-Zylinder ist ein Dreck gegen eine Wäschetrommel, eine Zaubertrommel.

Einzelne türkise Socken. Es bricht nicht nur der Psi-Faktor ins Leben ein, sondern gewissermaßen auch die Kunst. Denn was wäre ein einzelner Socke anderes als Kunst, der Zweckhaftigkeit auf wunderbare Weise enthoben, ein Bild, gemahnend an das, was Menschen wirklich brauchen. Nicht Krieg sondern warme Füße. Wärme von Grund auf, Farbigkeit. Oder stehen sie vielleicht eher für die Einsamkeit des Menschen, für das existentielle Geteilt- und Getrennt-Sein in einer Welt, die nur noch paarweise existiert, in der es das Gute nicht ohne das Böse gibt, das Kleine nicht ohne das Große und das Schwarze nicht ohne das Weiße?

Und wohin mit der Kunst? „Ganz hinten in'n Schrank rein“. Grob ist der Umgang mit Kunst und dem was zwischen Himmel und Erde stattfindet und wofür der Mensch keine Antenne hat. „Ich mach die in so 'ne Einzelne-Socken-Kiste, die hab ich aber beim letzten Umzug weggeschmissen. Die Kinder waren ja längst rausgewachsen.“ Drastisch, ehrlich und völlig gefühllos eine andere Kommilitonin: „Die kommen weg“. Wem würde es da nicht kalt den Rücken runterlaufen.

Eine andere gewährt Gnadenfrist: „Ich heb die auf und hab mir eigentlich immer schon mal vorgenommen, sie mit den einzelnen von meinem Freund zu vergleichen“. Schöne Idee. Erst auf Nachfrage der taz stellt sich raus: Die beiden waschen gar nicht mit derselben Maschine... Ein bedenklicher Fall von Paareritis, möchte ich sagen.

Auch bedenklich: der Pragmatismus, der schnöde, von anderen Kollegen. Zum Beispiel der eingangs zitierte. Setzt verschiedenfarbige Socken zu neuen Paaren zusammen, um „zu zeigen, dass das auch geht“. Ist aber mittlerweile aus dem Pippi-Lang-strumpf-Alter raus und verwirft die alte Lösung. Hat also quasi nur altersspezifische Lösungen zur Verfügung. Wie Joschka Fischer. Sehr gefährlich. Ich kannte mal einen Punk, die sind ja berühmt für ihre avantgardistischen kulturellen Lösungen, der hatte zwei Lederhosen. Eine mit Socken und Schuhen dran (für den Winter) und eine ohne Socken und Schuhe dran (für den Sommer). Dann gibt es da noch, wie immer bei wirklich existentiellen Problemen (Alte, Drogen, Selbstmord, bezahlbare Wohnungen) die niederländisch-nordeuropäische Lösung. Pragmatisch bis zum Abwinken. Im wunderschönen Film „Smoke“ wird behauptet, in der Tür skandinavischer Erste-Hilfe-Schränkchen stünde „In case of wanting to make suicide, please call this number...“. Aber zurück zu den Socken. Die holländische Lösung heißt: Nur noch gleichfarbige und ungefähr gleichförmige Socken kaufen, dann kann man immer alle mit allen kombinieren. Pffffft, da ist die Luft auch gleich raus aus dem Thema. Und wie bei allen luftleeren Schlabberthemen gibt es dazu eine Internetseite: www.blacksocks.com. Hier gibt es schwarze Socken im Abo (paarweise). Drei, vier oder sechs Mal pro Jahr wird man beliefert, wahlweise knie- oder wadenhoch. Einzelne Socken wird es auch dann noch geben, aber sie werden nicht mehr auffallen in dieser Armada schwarzer Partner, die schon im Briefkasten warten. Okay. Hier könnte der Artikel zu Ende sein, zöge da nicht noch ein eisiger Hauch durch die Redaktionsräume. Ein Kollege mischt sich ungefragt ein „Einzelne Socken? Kommt bei mir nicht vor“.

Elke Heyduck

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