: Wintermorgenstimmung an der Kleinen Oase Von Michael Rudolf
Der Busbahnhof liegt verwaist. Die Narren haben sich wieder zum Winterschlaf verkrochen. Pappiger Schneematsch und vereinzelte Papierschlangen drücken auf die Topografie. Dafür hat die Kleine Oase wieder auf. „Ein Schnaps“ kostet heute 1,00 DM, „ein Bier“ 1,50 DM. Die Wurstfriteuse soll die Innereien des Verschlages auf spürbar über Null hochheizen, und ein paar geschickt als Windfang verschachtelte Pappen geben zwei unentwegten Damen die Illusion, daß da was dran sein könnte, und neutralen Beobachtern die Gewißheit, daß beide mit der Erscheinungswelt uneins sind. Es wird lauter, und das nicht nur, weil wir näher kommen.
„Laß mal noch einen rüberwachsen, Karlheinz!“ Es handelt sich ganz offenkundig um Nachschubprobleme bei der Versorgung mit „Kleinem Feigling“. Die leeren Flaschen haben die beiden auf einer Strecke von über zwei Metern wie Dominosteine aneinandergereiht.
„Du bist doch schon schwarz wie 'ne Tümpelkröte!“ Die wüste Gabi ist irgendwie scheiße drauf und sucht die Konfrontation. Soviel wird auf den ersten Blick klar.
„Hä?“ Ingrid, aus ihren anatomischen Gegebenheiten heraus das Kanonenboot genannt, läßt es heute auch drauf ankommen.
„Ich sag', du bist schwarz wie 'ne Tümpelkröte!“
„Warum sagst'n alles zweemal? Du bist doch ooch schon zu wie tausend Russen.“ „Komische Art, um Schläge zu betteln.“ Gabi läuft signalrot an. Jetzt kann nur noch ihre gefürchtete Handtasche helfen. Karlheinz, der neue Wirt, hat es auch bemerkt: Hier bahnt sich was an. Nur, Gabi hat die Handtasche ja vorhin wegen was anderem ins Freie geschleudert. Die würde sie jetzt flink holen und dann ihren Ankündigungen Nachdruck verleihen. Dabei unterschätzt sie böse die Erdanziehung. Rumms.
„Dir tun wohl die Haare weh?“ Kanonenboot läßt nicht locker. Vermutlich würde wenigstens in dieser Frage Einigung erzielt werden. Die Zusturzgekommene sieht das anders, richtet ihren Fleischberg schwankend auf und spuckt in Richtung Kanonenboot, wohl um Zeit zu gewinnen. Dann holt sie lüstern mit der Handtasche Schwung.
„Hau doch zu! Wenn du's Echo verträgst“, so abermals das Kanonenboot. Sie sind entschlossen, der Gewaltspirale eine weitere Windung anzufügen. Ein Knäuel aus zwei furchtbar angetrunkenen, dicken Frauen, die mit ihren Handtaschen rücksichtslos aufeinander eindreschen. Natürlich fehlt es nicht an Anfeuerungsrufen. Der Karlheinz hat scheinbar für Gabi Partei ergriffen. Seine Augen versuchen zu funkeln.
„Los, gib's ihr, krichste nachher von mir wieder!“ Gabi schüttelt sich bedrohlich. Sie äugt verächtlich zum Wirt. Schließlich wäre der sowieso der nächste. „Ich geb' einen aus“, piepst er unvermittelt. Eine ziemlich lange Sekunde benötigen die Damen, um den Vorschlag mehr als nur akustisch zu verstehen. Sie halten inne. Aufrappeln, den Schneematsch abklopfen und auf die Sitzplätze verziehen ist eins.
„Einer geht noch, einer geht noch rein!“
„Ich geh' vorher noch mal für kleine Mädels.“ Feierlich stampft Kanonenboot an uns vorbei.
„Geh mal für mich mit“, lallt die wüste Gabi hinterher.
Wir sind dann auch gegangen.
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