: Winke winke dem God!
■ Schweinehund & Messerknecht pflügen die Buchtstraße um Da kochte selbst das hanseatische Kaltblut: Chicago Gospel Spirit ließ die Glocke, dank sei Gott, heftig bimmeln. Hallelujah!
Mein mir unbekannter Nachbar und ich, innig hielten wir uns die Hand. Reverend Ricky Dillard hatte uns um diese Geste gebeten, „to show, that you love your neighbour“. Außerdem habe der Nachbar anschließend gewiß keine „lonely nights“mehr und sei prächtig „healthy“für immer und ewig.
Nicht, daß mein Nachbar – ein junger, kräftiger Bursche – übermäßig einsam, krank und ungeliebt aussah. Aber, mein Gott, wenn ein kurzer feuchter Händedruck ihm und mir so viel Gutes bringen konnte, riskiert man's schon mal, sich ungeschützt in den Nachbarn zu verlieben. Zumal es uns all die vielen Menschen im prall gefüllten kleinen Saal der Glocke gleichtaten. Und als der Reverend uns innig Verliebten schließlich zurief: „Wave to the Lord, because he loves you“, da erhoben wir selbstverständlich unsere Händchen und machten winke winke dem God. Der Reverend hatte es ja gesagt.
Gleich zu Beginn des Konzertes der Chicago Gospel Spirit fiel einem schlagartig ein, weshalb Atheismus und Antiamerikanismus im Grunde zu den edelsten Tugenden anständiger Menschen zählen. Ricky Dillard drohte mit „God bless you“, anschließend erzählte er, daß Gott das auch ständig mit Amerika tue und Amerika sowieso wonderful, great und mindestens unschlagbar in jeder Beziehung sei. Aber glücklicherweise endete die Predigt, ehe man zuende denken konnte, wie die Glockebestuhlung am schnellsten zu demontieren ist, um sie im Anschluß gegen Dillards glänzende amerikanische Glatze zu pfeffern. Und danach hatte man zu derartigen Mißfallensbekundungen keinen Anlaß mehr. Denn der Chor und sein groovender Missionar taten ihr Bestes, um die Botschaft des Herrn in mitreißender Form an die hanseatische Kaltblutherde weiter zu geben.
„Jesus“und „Pray“und zwanzigtausend Mal „Hallelujah“– schon sind 95 Prozent des gesungenen Liedgutes wörtlich zitiert. Aber was soll man auch viele verschiedene Worte verlieren über den Herrn. „To know Him is to love Him“schallte es beispielsweise an anderer Stelle minutenlang und im Kanon aus den weit aufgerissenen Mündern der 14 NordamerikanerInnen, was sich klasse anhörte, solange man nicht die wörtliche Übersetzung dieses Blödsinns in die Bewußtseinssphäre dringen ließ. Mit ausgeschaltetem Verstand aber und unter Ausblendung aller wohlbegründeten Zweifel an der Existenz desjenigen, der, glaubte man den penetranten Fingerzeigen des Reverend (“There is the Lord!“), wohl mittem auf dem Dach der Glocke dem Konzert lauschte, dauerte es nicht lang, bis man zu einem freudetrunken hüpfenden Jünger mutiert war.
Die Menge tobte, die Leiber zuckten, die Stimmen überschlugen sich, den Reverend rieß es entzwei. Und wirklich, da war er: Gott flog durch den Saal, Jesus samt the hole fucking (hups!) Bagage von Engeln und Holy Spirits gleich hinterher. Stampfen, Kreischen, Ekstase. Donnernder Applaus lupfte das stuckgeschmückte Dach des Konzertsaals, Gott, die anderen und jede Menge Dampf entwich. Hallelujah. Und wieder von vorn.
Zwischendurch gab es ein wenig musikalischen Schmalz (“That's what friends are for“) und rosa Gospeltupfer (“Amazing Grace“) auf die exaltierte Souls, während ein ekstatisch verzückter Chorknabe minutenlang seine Schuhsohlen auf das Parkett und die Hände vor sein Gesicht schlug. Der allwissende Reverend deutete auf den Bemitleidenswerten und informierte uns irritiert Dreinschauenden, „Gospel Music will bring you joy like him“. Ach ne, dann doch lieber nicht.
„A happy day“sangen wir zwar noch stehend und mit heiseren Kehlen mit, danach aber ging es vorbei an den CD-Ständen zur Garderobe. Zweimarkfünfzig kostet das. Und von Gott keine Spur. Wir ahnten das schon immer. zott
Das Konzert der Chicago Gospel Spirit am 29. Januar in der Glocke ist bereits ausverkauft
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen