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Archiv-Artikel

Wind und Sand

Bilderschätze aus einem Transitort: Der Film „Warten auf das Glück“ beschreibt den Moment vor der Emigration

Im Grunde möchte Abdallah in Nouadhibou nur Station machen. Sein Ziel ist Europa, die mauretanische Küstenstadt steht für alles, was er hinter sich lassen möchte: den Wind und den Sand, die engen Gassen und die Bewohner, die keine Eile kennen, weil sie keine Ziele haben. Abdallah ist zu Besuch bei seiner Mutter. Er will sich von ihr verabschieden. Ihre Sprache, einen lokalen Dialekt, spricht er schon nicht mehr. Ohne Verständnis hört der 17-Jährige auch den Bewohnern von Nouadhibou zu. Die Mädchen lernen die traditionellen Lieder, der kleine Kahtra fragt einen alten Mann, ob er Angst vor dem Tod hat. Abdallah nimmt diese Bilder in sich auf.

Sie werden sein Schatz sein, wo auch immer er hinkommt, denn der mauretanische Filmemacher Abderrahmane Sissako zeigt in „Warten auf das Glück“ („En attendant le bonheur“) diesen Transitort voller Wind und Sand trotzdem als eine reiche Welt. „Heremakono“ ist der Originaltitel dieses Films, ein Wort, das einen Übergang bezeichnet, eine Zeit der Ungewissheit und Unbestimmtheit. Abdallah (Mohamed Mahmoud Ould Mohamed) lässt von seinem Vorhaben wegzugehen nicht ab, aber er nimmt sich Zeit. Er passt sich an die Umstände an, liegt herum, spricht mit dem quirligen Khatra (Khatra Ould Abdel Kader), lässt sich jungen Frauen vorstellen. In einer Szene, die typisch ist für die visuellen Strategien von Sissako, geht Abdallah ganz in seiner neuen Umgebung auf: Er trägt ein Gewand, das aus demselben farbenfrohen Stoff besteht, mit dem auch alle Wände und Fenster in dem Zimmer verhängt sind, in dem er sitzt.

Ein unsichtbarer Beobachter prägt den Film „Warten auf das Glück“. Sissako übt sich mit seinem Kameramann Jacques Besse in einer Haltung der Registratur: Sie sammeln Eindrücke aus diesem Ort. Wie in ganz frühen Filmdokumenten aus Afrika bleibt auch hier vieles unerklärt. Die Montage betont zusätzlich, dass es sich bei den Bildern des Films um Impressionen handelt, die sich nur bedingt zu einer Narration zusammensetzen.

„Warten auf das Glück“ konterkariert die Ausreisehoffnungen vieler Afrikaner, in einem Bild sogar sehr hart: als ein Leichnam angeschwemmt wird von einem Mann, der illegal versucht hat, die Grenze zu überqueren. Trotz aller Hoffnungen auf einen anderen Ort hält Sissako an den lokalen Möglichkeiten fest: Nouadhibou ist ein Ort des Übergangs – aber kein Niemandsland, auch Abdallah könnte hier etwas werden. Er müsste nur die Sprache lernen.

Die Paradoxien dieses Films liegen außerhalb seiner selbst: Es gibt kein mauretanisches (kein frankophon-afrikanisches) Kino ohne europäische Produzenten, und auch Sissako, auf den Catherine David 1997 erstmals aufmerksam gemacht hat, als sie ihn zu einem ihrer sieben documenta-X-Filmemacher erkor, vertritt diese Ambivalenz. Er hat in Abdallah zwar ein Alter Ego, das sogar autobiografische Züge trägt: Sissako ging 1980 von Mali nach Moskau, um an der Filmhochschule zu studieren – er kennt also den Moment vor dem Exil, das „Heremakono“, selbst. Dennoch filmt er seine Heimat mit dem Blick eines Fremden, aus einer Tradition heraus, die er sich selbst in der Fremde angeeignet hat. JOCHEN BORDWEHR

„Warten auf das Glück“. Regie: Abderrahmane Sissako. Mit Mohamed Mahmoud Ould Mohamed, Khatra Ould Abdel Kader u. a. Mauretanien/Frankreich 2002, 96 Min., Termine siehe Programm