Willkommen im Schlachthaus

Beim „World Clash“ in New York, dem wichtigsten Dancehall-Wettbewerb außerhalb Jamaikas, wird der Weltmeister im Plattenauflegen gekürt. Dabei zählen Dub Plates und Entertainment-Qualitäten

von ELLEN KÖHLINGS und PETE LILLY

Freddie Krueger von Killamanjaro tritt ans DJ-Pult. „Matterhorn sagt, Freddie wurde ausgebuht, also ist er tot. Bass Odyssey sagt, Freddie ist tot. Alle, die glauben, Freddie sei noch nicht tot – ganz ehrlich: hebt eure Hand.“ Arme schnellen in die Luft. „False Bloodclaat Alarm! Nitty Gritty – Ihr seid erledigt!“, donnert es aus den Boxen. Die Platte wird zurückgedreht. Das Publikum tobt.

Zehn Sekunden haben darüber entschieden, wer den World Clash 2000 gewinnt, den größten internationalen Dancehall-Wettbewerb: Es ist Killamanjaro aus Jamaika. Dabei war fünf Stunden lang alles offen. Sechs Sound Systems sind im Amazura Club in Queens, New York, angetreten, um den Champion Sound, den Weltmeister im Plattenauflegen, zu ermitteln. „Willkommen im Schlachthaus“ lautet das Motto des Abends. Und verbal geht es dabei bis an die Grenze zum Blutvergießen. Sechs Soundboys und ihre Mike Chatters, die MCs, sind mit Dub Plates bewaffnet, um die anderen zu „killen“. Darunter auch Deutschlands Nr. 1, das Kölner Pow Pow Movement, der erste kontinentaleuropäische Teilnehmer beim Clash der Clashes.

New York ist der entscheidende Clash-Battleground außerhalb Jamaikas. Ende der 80er waren die Clash-Wettbewerbe zwischen gegnerischen Sound Systems sehr populär, und nach einer vorübergehenden Flaute in den 90ern ist der DJ-Sport wieder zurück. Beim Clash geht es nicht darum, die Menge zum Tanzen zu bringen – dann hätte Pow Pow schon so gut wie gewonnen. Ziel ist es vielmehr, mit speziell angefertigten Platten, Dub Plates – Unikate von bekannten Reggae-Hits, auf denen der jeweilige Künstler das entsprechende Sound System glorifiziert und meist die Konkurrenz verbal herunterputzt –, das Publikum von der Tiefe der eigenen Plattenkiste zu überzeugen. Und dazu ist neben musikalischem Know-how und guten Kontakten vor allem ein dickes Portemonnaie gefragt: Der derzeitige Kurs für ein Dub Plate von einem namhaften Künstler wie Bounty Killer, Capleton oder Beenie Man liegt bei 1.000 Dollar. Aber etwas anderes kommt an so einem Abend nicht auf den Plattenteller – wer mit regulärem Vinyl daherkommt, ist disqualifiziert. Gleiches gilt für Wiederholungen: Wer ein bereits gespieltes Stück auflegt, kann ebenfalls seine Sachen packen. Das kann mitunter schwer nachzuvollziehen sein, denn ein Tune wird meist nur wenige Sekunden angespielt.

„Yo! Mi haff nuff luv for Jamaican people, you know, seen! I & I cum from Japan, but Reggae make mi eat food!“ Das ist Mighty Crown aus Japan, der Titelverteidiger vom Vorjahr. Ihre Ansprache in der ersten Runde ist eine Respektbekundung an Jamaika. Sie spielen Jamaikas Nationalhymne als Dub Plate mit eingestreuten japanischen Übersetzungen. Dazu schwenkt Sammy T., der Mann am Mikro, eine überdimensionale jamaikanische Flagge von einer Bühnenhälfte über die andere, darin eingenäht die japanische Fahne. Die Zuschauer sind aus dem Häuschen: welch raffinierter Schachzug! Denn bei der hochkarätigen Konkurrenz braucht es auch eine enorme Portion Entertainer-Qualitäten, um die 3.000 kritischen Dancehall-Fans zu überzeugen. Davon hätte sich auch Pow Pow eine Scheibe abschneiden können. Obwohl sich alle einig sind, dass ihre Plattenwahl eine der besseren der Vorrunden war, werden sie nach ihrem zweiten 15-Minuten-Set von der Bühne gebuht. In dieser Nacht hat das Publikum die alleinige Macht. Es ist Jury und Richter in einem, und das wird gnadenlos ausgekostet. So muss jeder Sound mal ein Buuh einstecken.

Es gibt kaum eine Veranstaltungsform, bei der die Zuschauer derart involviert sind. Nichts ist vorhersehbar. Dachten am Anfang noch alle, dass der Cup wieder nach Japan geht, scheiden auch Mighty Crown bereits nach ihrem dritten Auftritt aus, genau wie Little Rock aus New Jersey. Die verbleibenden drei Sounds, Tony Matterhorn (USA), Bass Odyssey und Killamanjaro (beide Jamaika), müssen sich im Dub Fi Dub messen. Jeder darf über zehn Runden jeweils nur ein Dub Plate spielen. Nachdem in den Vorrunden bereits viele aktuelle Knaller gelaufen sind, kommt es nun auf die „Foundation Artists“ an: Alton Ellis, Gregory Isaacs, Dennis Brown, damit können alle aufwarten. Nitty Gritty, der Sänger auf der letzten Platte des Abends, wurde 1991 von einem Rivalen erschossen. Damit sichert sich den Sieg: „Killamanjaro, so groß wie der Berg!!“