Willie Nelson wird 80 Jahre alt: Zen-Meister der Countrymusik
Als die Hippies auf dem Land das ursprüngliche Leben suchten, stießen sie auf Willie Nelson. Nun feiert der Sänger seinen 80. Geburtstag.
Das gibt es nur in Texas. Mag der riesige Bundesstaat im Süden der USA in Europa als Brutstätte rassistischer Rednecks und furchterregender Waffennarren verschrien sein – die dort vorherrschende turbo-individualistische Ideologie macht ihn auch zu einem Biotop und einem Rückzugsraum für hochgradig unangepasste exzentrische Künstlerpersönlichkeiten.
Typen wie Townes Van Zandt, Mayo Thompson und Daniel Johnston sind beziehungsweise waren stolze Texaner. Und unser rüstiger Jubilar, der in diesen Tagen seinen 80. Geburtstag begeht, wird dort bedingungslos als Volksheld verehrt – obwohl er als bekennender Anhänger der Occupy-Bewegung und als Aktivist, der für die Legalisierung von Marihuana und gleichgeschlechtliche Eheschließungen eintritt, in kaum einer Hinsicht dem konservativ-religiösen Südstaaten-Mainstream entspricht.
Willie Nelson ist so sehr individualistischer Außenseiter, dass er gegen so ziemlich alle geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze der US-Entertainmentindustrie verstoßen hat. Wieso kann so einer Weltstar werden? Nur auf seine Weise. Lange sah es so aus, als würden ihm seine Idiosynkrasien – näselnder Gesang, ungewöhnliches Songwriting (sowohl textlich als auch musikalisch), unamerikanisches Wertesystem – in der üblichen Währung vergolten werden: mit Ablehnung, Missachtung, Aussortierung.
Der Musiker wurde am 30. April 1933 in Abbott, Texas, geboren und wuchs mit seiner Schwester Bobbie bei den Großeltern auf. Mitte der 50er Jahre begann er Songs zu verkaufen.
Die besten Alben seiner Karriere erschienen, als er größere künstlerische Freiheit erhielt: "Good Times" (1968), "Yesterdays Wine" (1971) und "The Willie Way" (1972).
Außerdem: Nelson sitzt im Beirat der "National Organization for the Reform of Marijuana Laws". Seit 2005 betreibt er außerdem ein Unternehmen, das Bio-Diesel ("Bio-Willie") produziert.
Klar, einige seiner Songs wurden von anderen Künstlern zu Monsterhits gemacht: Patsy Cline machte „Crazy“ 1962 etwa zum Standard. Andere Titel wie „Night Life“ (mit dem Glaubensbekenntnis eines jeden Profi-Ravers als Refrain: „The night life / ain’t no good life / But it’s my life“) gehören heute zum Great American Songbook.
Glaubensbekenntnis Nachtleben
Aber seine eigenen Alben liefen während der ersten zwei Jahrzehnte seiner Karriere schlecht. Wobei man rückblickend sagen kann: Nie war er besser als damals. Vor allem war er zunächst ein nimmermüder Songschreiber, der jedes Jahr Dutzende neuer Werke verfasste. Inspiration hierfür lieferte vor allem seine stürmische erste Ehe. Beide Ehepartner waren jung, ausgesprochen lebenshungrig und nahmen es mit ehelicher Treue nicht so genau.
Sein Frau Martha entwickelte immer wieder neue Methoden, ihren Willie körperlich zu züchtigen. Berühmt geworden ist jene Episode, in der sie den seinen Rausch ausschlafenden Gatten ins Bettlaken einnäht, um ihn anschließend mit einem Besenstiel zu verkloppen. Nelson verarbeitet das alles in Songtexten. „Suffer In Silence“, „I’m Still Not Over You“, „Opportunity To Cry“ – schon die Songtitel deuten an, wie hoch es zwischen den Eheleuten Nelson herging.
Raffinierte Texte
Sie verraten jedoch nichts über die Raffinesse der Texte. So nahm Nelson schon vor Jahrzehnten heute aktuelle Philosophietrends vorweg und räumte leblosen, ja abstrakten Dingen Rederecht in seinen Auseinandersetzungen ein: In „Hello Walls“ unterhält er sich mit den Fenstern und Wänden seiner Wohnung und fragt sie, ob sie denn nicht auch seine Verflossene so vermissten.
In „I Let My Mind Wander“ beschreibt er seine Gedankenwelt als unabhängigen Widerpart, gegen den er ankämpfen muss, auf dass er ihn nicht mit Erinnerungen an die Ex peinige: „Can’t trust it one minute / It’s worse than a child / Disobeys without conscience / It’s drivin’ me wild“. Also versucht er seine Gedanken auf Wanderschaft zu schicken, abzulenken mit den Neuigkeiten des Tages, aber: „I let my mind wander / And what did it do? / It just kept right on going / Until it got back to you“.
Glück und Demut
In all diesen Variationen des Themas verfällt er nie auf den im Country-Genre beliebten Ausweg, die Schuld der Frau zuzuweisen. Stattdessen scheinen ihn die emotionalen Verschlingungen zur Erkenntnis hingeführt zu haben, dass Glück eine einfache Sache ist, der am besten mit Demut zu begegnen ist: „Here I sit with a drink and a memory / But I’m not wet, I’m not cold / And I’m not hungry / Classify these as good times“, singt er in „Good Times“, einem seiner majestätischsten Songs.
Fast ein Dutzend Alben lang versuchte das RCA-Label – in den Sechzigern die beste Adresse im Country-Geschäft –, die Fangemeinde für solches Gedankengut zu gewinnen. Vergeblich. Als Nelson 40 wurde, stand er ohne Vertrag da und wollte die Musik schon aufgeben.
Die Hippies waren schuld
Dass es anders kam, verdanken wir den Hippies, die auf ihrer Suche nach dem wahren Leben zu Beginn der siebziger Jahre die Städte verlassen hatten und auf dem vermeintlich ursprünglichen Land angekommen waren. Die zur gleichen Zeit aus anderen Gründen dort gestrandeten Abtrünnigen vom Nashville-Establishment adoptierten sie als Bündnispartner, und plötzlich fanden sich gescheiterte Country-Sänger wie Nelson, Waylon Jennings und Tompall Glaser neben Southern-Rock-Bands wie Lynyrd Skynyrd als „Outlaws“ gebrandet und als Speerspitze des neuesten Musikindustrie-Trends.
Nelson ließ sich davon nicht beeindrucken. Auf einige unverschämt erfolgreiche Konzeptalben (allen voran „Red Headed Stranger“ von 1975) veröffentlichte er eine sein neues Label Columbia fast überfordernde Flut an höchst unterschiedlichen Alben. Songs, auf denen er seine Liebe zur amerikanischen Musik abarbeitete, vor allem aber auch Duett-Werke mit seinen Helden, etwa mit Hank Snow. Wobei man sich fragen kann, ob er damit gegen oder für seine Karriere arbeitete: Columbia hätte lieber ein wohl abgehangenes Marketing-gechecktes Produkt herausgebracht.
Fehlende Emotionalität
Sein Outlaw-Following liebte ihn für derartige Eskapaden indes umso tiefer. Vom Songwriting verabschiedete sich Nelson allerdings mehr und mehr. Die wenigen Eigenkompositionen, die seit Beginn der achtziger Jahre noch ihren Weg auf seine Alben fanden, besaßen nicht mehr diese eigentümlich in strenge Bahnen gelenkte rasende Emotionalität der frühen Jahre. Mittlerweile ist Nelson wieder bei Columbia gelandet, wo er einen Vertrag abschloss, der sorgsame Reissues aus seiner ersten Columbia-Zeit einschließt und auch neue Werke, von denen jetzt das Album „Let’s Face The Music And Dance“ erscheint.
Die Mischung aus Country- und Broadway-Standards ist sympathisch. Sie bringt allerdings nichts, was man von ihm nicht schon besser gehört hätte. Ausdrücklich gefeaturet wird seine langjährige Begleitband, aber das Klaviergeklimper seiner Schwester Bobbie ist noch immer nicht erstligatauglich, wohingegen Schlagzeuger Paul English seinen ganz eigenen Swing, mit all den feinen Verzögerungen und kurzzeitigen Taktwechseln, kaum zur Geltung bringt.
Wäre stattdessen nicht ein großes Alterswerk fällig? Sollte man Don Was oder gar Jack White berufen, auf dass sie als Produzenten aus Willie den großen Zen-Meister hervorkitzeln, der Lebenserfahrung und Güte in seiner Kunst transzendiert? Nicht nötig: Diese Werke hat er schon vor Jahrzehnten gemacht.
Willie Nelson: „Let’s face the music and dance“ (Columbia/Sony)
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