■ Die neuen Protestparteien: Wille zur Macht
Der Erfolg der Hamburger Statt Partei hat auch in Berlin eingeschlagen, neue Parteien boomen. Da gründen sich innerhalb weniger Tage die „Demokraten für Deutschland“, die „Bürger- und Stadtpartei Berlin“ (BSP) und die Initiative „Wähler in Berlin“ (WiB). Protest ist das Programm, der Nichtwähler die Zielgruppe, der Denkzettel das Mittel. Ein bißchen Kritik an der staatlichen Bürokratie, ein lautes Schimpfen über die „verkrusteten Altparteien“, eine Absage an die „alten Rechts-Links-Schemata“ und vor allem eine interessierte Presse – und fertig ist die neue Partei. So kam es auch bei der Gründung der „Bürger- und Stadtpartei Berlin“ nicht auf die Inhalte an – wichtiger war, schneller zu sein als die Reinickendorfer Kollegen von der WiB. Als deren Gründungsdatum für den 13. November feststand, wurde eiligst für den 27. Oktober eingeladen. Noch sind die Menschen, die den „Etablierten“ den Kampf ansagen, Leute ohne politische Erfahrung, eine Ansammlung von unzufriedenen BürgerInnen, geführt von unbekannten Mitgliedern der bürgerlichen Parteien. Wenn erst die Nominierungen für die Wahlen zum verkleinerten Abgeordnetenhaus anstehen, können die neuen Parteien Zulauf erwarten. Wer bei SPD und CDU auf einen aussichtslosen Listenplatz abgeschoben wird, entdeckt leicht seinen Hang zur Bürgernähe und hat eigentlich schon immer unter der Verfilzung der Parteiapparate gelitten. Was spitzfindige PolitologInnen an den neuen Parteien als „plebiszitäre Elemente“ entdecken könnten, bleibt spätestens dann auf der Strecke. Es ist der Wille zur Macht, der die neuen Parteien auszeichnet. Der Wahlerfolg ist das Ziel – das einzige zumeist. Inhalte und Wahlprogramme sind Mittel zum Zweck. Daß die Neuen dennoch gerade von der Machtbesessenheit der großen Parteien profitieren können, ist die Ironie der neunziger Jahre. Bernd Pickert
Siehe Bericht Seite 28
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