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Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson"Wir hatten einen Notfallplan"

Wikileaks nimmt aktuell keine Dokumente an, sagt Sprecher Hrafnsson. Der Druck durch die USA offenbare "schon eine gewisse Ironie". Wikileaks sei nicht gefährlich für die Weltdiplomatie.

Ganz rechts: Julian Assange, daneben Kristinn Hrafnsson. Bild: reuters
Interview von Louise Osborne

taz: Herr Hrafnsson, wer spricht nach der Festnahme von Julian Assange für Wikileaks?

Kristinn Hrafnsson: Im Moment mache ich das. Dass Julian gerade nicht da ist, hat keinen Effekt auf die tägliche Arbeit. Wir waren auf eine solche Situation vorbereitet und hatten einen Notfallplan. Die Verantwortlichkeiten in der Organisation sind gleich geblieben. Wir veröffentlichen in Kooperation mit unseren Medienpartnern noch immer Depeschen.

Mit welchen Problemen sieht Wikileaks sich jetzt konfrontiert?

Es sind ernsthafte Attacken gegen Wikileaks gestartet worden. Die US-Regierung übt Druck aus auf Unternehmen wie PayPal, Mastercard und andere, die mit Wikileaks gearbeitet haben. Mit ihren Attacken auf die Redefreiheit hat diese Regierung große Wut hervorgerufen. Das schmeckt nach etwas, das man sonst nur von repressiven Regimen kennt. Jetzt erleben wir ein solches Verhalten von einem Land, das für sich beansprucht, die Rede- und Ausdrucksfreiheit zu verteidigen. Das hat schon eine gewisse Ironie.

Im Moment nimmt die Webseite keine sensiblen Dokumente an. Warum?

Das ist eine zeitlich begrenzte Maßnahme, aus Respekt vor dem Material, das wir bereits haben. Das ist derzeit so viel, dass wir eine Pause einlegen müssen, bevor wir neue Dokumente annehmen können.

Bild: reuters
Im Interview: 

Kristinn Hrafnsson, geboren am 25. Juni 1962 ist ein isländischer Journalist und derzeitiger Sprecher von Wikileaks. Er begann während der Recherchen zum "Collateral Murder"-Video für die Enthüllungsplattform zu arbeiten.

Die Autorin

Louise Osborne ist Gastredakteurin der taz im Rahmen des IJP-Programms.

Was halten Sie von der Aussage der US-Regierung, die jetzt veröffentlichten Dokumente seien gefährlich für die Weltdiplomatie?

Das ist unbegründet. Es ist eine ernste Sache, einen genauen Blick auf die Welt zu werfen. Die US-Regierung sagt, die Wahrheit sei eine destabilisierende Kraft. Wir haben diese Aussagen früher schon von anderen gehört und jetzt hören wir sie in einer sehr überzogenen Form von dieser Seite.

Wie sind Sie mit Wikileaks in Kontakt gekommen?

Als Wikileaks Dokumente über die zusammengebrochene Kauphting Bank veröffentlichte, arbeitete ich gerade für einen Fernsehsender in Island. Das Dokument gab einen Überblick über den Umgang mit hohen Krediten. Die Bank hat die größten Kredite an die eigenen Besitzer vergeben. Das war eine sehr wichtige Geschichte und warf ein Schlaglicht auf die Bankenkrise. Das war meine erste Erfahrung mit Wikileaks, das erste Mal, dass ich davon hörte. Später bin ich in Kontakt mit Julian Assange gekommen. Im Fall der unprovozierten US-Hubschrauber-Attacke im Irak, das Video "Collateral Murder" machte Wikileaks ja sehr bekannt, habe ich dann im Irak recherchiert. In Zusammenarbeit mit dem isländischen Staatsfernsehen und Wikileaks bin ich nach Bagdad gereist, um die Betroffenen zu finden. Das war der Anfang meiner Arbeit für die Organisation.

Warum glauben Sie als Journalist, dass es Wikileaks geben muss? Es existieren doch mehr als genug andere Medien.

Dafür gibt es viele Gründe. Zum einen sehe ich eine Tendenz zu wachsender Geheimhaltung und gleichzeitig sehe ich, dass die traditionellen Medien, zu denen ich 20 Jahre lang gehörte, immer weiter beschnitten werden - finanziell und personell. Investigativer Journalismus ist fast zu einer bedrohten Art geworden. Zu große Nähe von Unternehmen und Regierungen fördert Korruption, es ist ungesund für Demokratie und Gesellschaft. Größere Transparenz trägt zu mehr Verantwortung bei Regierungen und Unternehmen bei.

Was glauben Sie ist die Zukunft von investigativem Journalismus und von Wikileaks?

Ich glaube, Wikileaks trägt zum investigativem Journalismus bei, in Zusammenarbeit mit hunderten von Journalisten. Ich glaube, dies ist eine positive Kooperation von Wikileaks und anderen Medien, die zu mehr Offenheit führen wird und den investigativen Journalismus in der Welt stärkt.

Übersetzung: Frauke Böger/Daniel Schulz

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12 Kommentare

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  • K
    Karola

    Falls die Befürworter von Wikileaks gezählt werden: Ich stimme zu und hänge mich an die tollen Kommentare an.

  • SK
    Sir Kiebitz

    Es lebe die Wahrheit! Und die Wahrheit entsteht erst in den Köpfen von frei denkenden Menschen ...

     

    Liberté

     

    Sir Kiebitz

  • F
    Fellow

    Anonymous hat ein deutschsprachiges Video zum Thema bei youtube:

     

    www.youtube.com/watch?v=mPjDYtS-wmI

  • Z
    Zafolo

    Wo bleibt wikileaks.taz.de ?

  • L
    leser

    Unterstützer können sich hier engagieren:

     

    "To improve the quality of the reports, we have chosen to introduce a concept of 'crowd-journalism' as a subform of crowdsourcing."

     

    http://operationleakspin.org

  • F
    Fofi

    "Wer die Fackel der Wahrheit durch die Menge trägt, versengt vielen den Bart." meinte ein alter Grieche und zeigte damit, dass die Herrschaft der alten Männer sich gefährdet sieht. Gibt's in dem Bereich seit 2000 Jahren was Neues?

  • W
    Wikinger

    Hey, hey Wiki, hey Wikileaks,

    ihr macht das wirklich fein.

    Hey, hey Wiki, hey Wikileaks,

    laßt das jetzt bloß nicht sein!

  • A
    Allendorf

    Wikileaks ist bisher wegen Gesetzesverstößen nicht verurteilt worden. Dennoch wird WL behindert und sanktioniert durch Vertragskündigungen . Da es sich hier um Zivilrechtliche Vertragsverhältnisse handelt ist dieses Verfahren prinzipiell nicht zu kritisieren.

    Dennoch ergreifen die Sanktionierer zum einen öffentlich Partei und zum anderen ist auf Grund der monopolähnlichen Marktmacht und technischer belange ein schneller Wechsel des Anbieters nicht einfach zu bewerkstelligen. Es ist deshalb nicht sehr verwunderlich das auf die schweren Eingriffe in die Geschäftsprozesse des einen Unternehmens eine Sanktion des anderen Unternehmens als Reaktion erfolgt.

    Im nicht virtuellen Welten wird in derartig gelagerten Fällen das Instrument des Rechtsstreites oder des Streiks genutzt um ein "erwünschtes und allseits akzeptiertes moralisches Verhältnis herzustellen. Es Fragt sich auch, ob der Druck mit technischen Angriffen dauerhaft groß genug sein kann, um die immer wieder wechselnden Sanktionierer davon zu Überzeugen, sich nicht mehr den politischen Druck von Regierungen zu beugen, aber auch ob das geltende und angewendete Recht ausreicht den Rechtsfrieden herzustellen.

  • V
    vic

    Täglich bestätigt sich mehr, was ich von Anfang an behauptet habe:

    Die wirklich (mehr oder weniger) brisanten und von Wikileaks veröffentlichten Daten, wurden in Deutschland mit der bekannten Boulevard-Soße überbacken und so ins Lächerliche gezogen.

    Diese Taktik ist, wie man weiß, beim Großteil der Bevölkerung, die sich überhaupt noch für irgendwas interessiert, aufgegangen.

  • VZ
    Volker Zenkert

    CIA kennt sich mit Hexenjagd bestens aus und sie werden der Öffentlichkeit klar machen, das es alle Kriminelle sind!

     

    Die CIA darf alles: Foltern, Töten, Lügen, erniedrigen, manipulieren u.s.w

     

    Ich glaube die Jungs haben ihren Gegner massiv unterschätzt und das Spiel fängt jetzt erst an!

     

    Man kann die USA nur zur Vernunft bringen, wenn man ihnen ihre Macht nimmt!

     

    Das heisst erstmal ihre Wirtschaft kaputt macht, da aber alle mit US-Markenprodukten rumlaufen und die US Labels im Supermarkt kaufen, bleiben sie stark!

     

    Ein Boykott kann ohne Provokation ablaufen, erfordert allerdings Einkaufsdiziplin!

  • MW
    Matthias Wolf

    Nichts fürchten die Diktatoren und anderen Mächtigen mehr als Offenheit und die Öffentlichkeit. Nur im Verborgenen können sie ihre schäbigen Absprachen treffen.

    Wikileaks zeigt, wie wichtig es ist in unserer Zeit die Lügengebäude der zerstörerischen Politik- und Weltordnung aufzuzeigen und zu entlarven.

    Hut ab und Hochachtung vor Wikileaks und seinen MitarbeiterInnen!!!

    Matthias Wolf

  • DA
    Der Analogist

    Nick Davies (The Guardian) hat in seinem treffenden Buch "Flat Earth News" dasselbe geschildert wie hier Kristinn Hrafnsson. Die etablierte Presse wird nur überleben, wenn sie die Wahrheit schildert im Sinne eines investigativen Journalismus.

     

    Die Devise muss heissen: Zurück zu größeren Umsatzzahlen für die etablierte Presse durch weniger vorgefertigte PR Berichte von Unternehmen und Regierungsbehörden, sondern stattdessen Nutzung von Klingeltönen à la Wikileaks.