Wikileaks-Aussteiger über Transparenz: "Korruption beginnt im Städtebauamt"
Wichtig ist vor allem Offenheit: Daniel Domscheit-Berg über seinen Abgang bei Wikileaks, den Konflikt mit Julian Assange und sein neues Projekt.
taz: Herr Domscheit-Berg, als wir uns das letzte Mal begegnet sind, haben Sie uns ja ziemlich verladen. All die Experten und Rechercheure bei Wikileaks gab es gar nicht.
Daniel Domscheit-Berg: Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Wir hatten ein großes Netzwerk an Experten, mit denen wir auch hätten arbeiten können, aber es gab die Prozesse und die Infrastruktur nicht, um die alle einzubinden. Von daher war das eher eine Beschreibung von etwas, wo wir gerne hinwollten, als die Beschreibung des Istzustands.
Am Anfang war das für mich vertretbar, solange wir auf dieses Ziel hingearbeitet haben. 2010 hätten wir aufgrund von Spenden genug Geld gehabt, um alles wie geplant aufzubauen. Doch Julian hat einen anderen Weg gewählt.
Hatten Sie da nie das Gefühl zu heucheln?
Klar hatte ich das Gefühl, und es war auch nicht besonders schön.
Aber eine Lüge bleibt es trotzdem.
Das war keine Lüge um ihrer selbst willen, sondern es geschah aus der Not heraus. Wir mussten das Projekt am Anfang als etwas Größeres verkaufen, als es tatsächlich war. Zum einen wären wir wenige Aktive sonst viel zu leicht angreifbar gewesen. Zum anderen reden die Leute nicht mit dir, wenn sie den Eindruck haben, dass du keine große Organisation am Laufen hast.
DANIEL DOMSCHEIT-BERG, geboren 1978, ist Diplom-Informatiker mit Schwerpunkt IT-Sicherheit. Bis 2009 hat er für Konzerne wie Electronic Data Systems gearbeitet. Nachdem er 2007 Julian Assange traf, engagierte er sich als "Daniel Schmitt" für die Enthüllungsplattform Wikileaks. Dort stieg er 2010 wegen interner Konflikte aus.
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Daniel Domscheit-Berg kommt auch zum taz-Medienkongress am 9. April in das Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Er nimmt an der Veranstaltung "Das große Leck - Wikileaks und die Folgen" teil. Karten und Programm gibt es hier.
Das ist Psychologie, so funktionieren Medien, und so funktioniert die Masse. Und letztendlich hat es auch für mich eine recht lange Zeit gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich selbst belogen wurde.
Glauben Ihnen Journalisten eigentlich überhaupt noch irgendetwas?
Das ist theoretisch tatsächlich ein Problem. Gerade hier in Deutschland haben sehr viele Journalisten hartnäckig nachgefragt. Praktisch ist das bisher nicht aufgetreten. Aus dieser Erfahrung heraus setzen wir bei unserem neuen Projekt auf Transparenz.
Wikileaks hat eine Debatte im Journalismus ausgelöst - nach dem Stellenwert der Recherche zum Beispiel. War das Absicht oder ein Nebeneffekt?
Das war mit auf dem Plan. Eine der Beobachtungen, die zu dem Projekt geführt haben, war, dass der investigative Journalismus gerade zu schlecht gestellt ist - sowohl von den Ressourcen als auch von der Ausbildung her. Wikileaks war dazu gedacht, die Kosten für Recherche zu senken und damit die Rolle des investigativen Journalismus zu stärken.
Julian und Sie nennen sich "Journalisten". Ist Wikileaks Journalismus?
Es ist sicherlich kein rein journalistisches Medium, denn es publiziert, aber es bearbeitet zumeist nicht redaktionell. Es ist vielleicht eine Art Zwitter zwischen einem publizistischem Medium und einer NGO. Unser neues Projekt, Openleaks, publiziert selbst gar nichts und hat deswegen auch nichts mit Journalismus zu tun. Openleaks ist reine Technik. Aber ich selbst habe einige Artikel und ein Buch geschrieben und bin als Journalist akkreditiert.
Bisher kam öfter der Eindruck auf, Sie und Julian Assange würden Journalisten eher verachten.
Bei Julian mag das stimmen. Bei mir ist das nicht so, ich halte den Berufsstand für sehr ehrenwert. Aber natürlich sind mir Missstände aufgefallen. Dazu gehört die Ökonomie der Exklusivität.
Was meinen Sie damit genau?
Jeder Journalist möchte eine Geschichte als erster und einziger veröffentlichen und möchte von den Quellen so lange allein zehren, wie es geht. Deshalb werden sie geheim gehalten. Gesellschaftlich ist das extrem suboptimal. Wie soll so ein gesellschaftlicher Diskurs oder eine nachhaltige Beschäftigung mit einem Thema zustande kommen?
Exklusiver Zugang stellt aber auch sicher, dass Geschichten über die Leaks tatsächlich veröffentlicht werden.
Das stimmt schon. Von dem, was ganz am Anfang auf Wikileaks frei veröffentlicht wurde, tauchte vieles in den Medien gar nicht auf - die Geschichten hätte ja jeder machen können. Darum kann Openleaks diese Bedürfnisse nach Exklusivität bedienen. Die Quelle entscheidet, welches Medium ein Dokument über den elektronischen Briefkasten bekommt. Aber eben mit einer zeitlichen Sanktion - wenn keine Geschichte zu dem entsprechenden Dokument erscheint, geht es irgendwann an alle Partner, die an Openleaks angeschlossen sind.
Wikileaks hat vor allem mit großen Medien zusammengearbeitet, die ihre Marktstellung dadurch weiter ausgebaut haben. Liegt nicht eine gewisse Ironie darin, dass ausgerechnet Wikileaks die Machtverhältnisse im Journalismus weiter gefestigt hat?
Das gilt für die Depeschen und die größeren Veröffentlichungen zu Irak und Afghanistan. Solche Dokumente bekommt ein Journalist höchstens einmal im Leben. Das Meiste ist viel kleiner, die Korruption beginnt im Städtebauamt. Und dazu gibt es eine Menge Dokumente. Man braucht nur eine Struktur, welche Aufmerksamkeit dafür schafft. Deshalb ist es gut, wenn es mittelfristig viele Alternativen zu Wikileaks gibt.
Sie sagen selbst, Openleaks ist nur Technik. Warum haben Sie eigentlich jede publizistische oder politische Absicht aufgegeben, die Verhältnisse aktiv zu verändern?
Habe ich nicht. Eine Plattform, die Transparenz ermöglicht, ist an sich politisch. Openleaks ist sogar demokratischer und emanzipatorischer als Wikileaks, weil den Quellen mehr Macht gegeben wird. Richtig ist, dass wir bei Openleaks nicht den Hype von Wikileaks wollen.
Und Sie überlassen Ihren Medienpartnern die Entscheidung, was veröffentlicht wird und was nicht. Es ist also alles wieder beim Alten. Sind Sie mit der Medienrevolution gescheitert?
Das stimmt nicht ganz, weil unser System sicherstellt, dass alles Material an die Öffentlichkeit kommt. Und so kritisch ich gegenüber den Mainstreammedien bin, glaube ich, dass Julian die Menschen zu Unrecht in dem Gefühl bestärkt hat, die Medien würden uns immer nur verarschen. Nach dem Motto: Glaubt nichts, wofür es keine Primärquellen gibt. Es ist natürlich ein mittelfristiges Ziel, Journalismus überprüfbarer zu machen. Aber bis dahin brauchen wir Medien, weil nur sie uns ein relativ ausgewogenes Bild von der Welt liefern.
Wann startet Openleaks?
Die Technik steht, aber bei unseren Partnern gibt es noch Koordinationsbedarf. Ich hoffe, dass wir im April zumindest die Testphase starten können.
Und warum musste Ihr Team bei seinem Wikileaks-Ausstieg Daten klauen?
Wir haben nichts geklaut. Ich bin gemeinsam mit ein paar Technikern ausgestiegen, die sich um die Server gekümmert haben, auf denen Dokumente gespeichert waren. Dann stellte sich die Frage: An wen übergeben wir die Daten? Und da hat Julian gesagt, er habe gar keine Zeit für so etwas, und es interessiere ihn einen Scheiß.
Von außen wirkt das, als gäbe es einen Zickenkrieg zwischen Ihnen und Assange.
Es gibt keinen Zickenkrieg, wir sind hier nicht im Kindergarten. Wir wollen die Dokumente zurückgeben, wenn Wikileaks glaubhaft machen kann, dass es die Daten sicher verwahrt. Da kommen uns immer wieder Zweifel. Näheres kann ich nicht sagen, wenn ich keine Quellen gefährden will.
Und nun fechten Sie das vor Gericht durch?
Es gibt gar keine Basis für einen Gerichtstermin. Das ist alles heiße Luft. Welche Rechtsgrundlage soll es denn für eine rechtlich nicht fassbare Organisation hier geben? Julian ist für mich der moralische Eigentümer der Daten, deswegen soll er sie zurückbekommen. Traurig ist nur, dass Spendengelder verpulvert werden, damit ein Anwalt mir teure Briefe schreibt, in denen nichts Justiziables drinsteht.
In Ihrem Buch "Inside Wikileaks" schildern Sie viele private Details. Welchen Sinn hat es, dass wir nun wissen, dass Julian Assange Ihre Katze gequält hat?
Wenn ich gewusst hätte, dass diese Scheiße mit der Katze so breitgetreten wird, hätte ich das gelassen. Das Buch beschreibt meine persönliche Geschichte, und deshalb gehören auch private Anekdoten dazu, die sich besser erzählen lassen. Leider hat viele Leute dann nur das Triviale interessiert.
Und das hat Sie überrascht?
Zu wenige Journalisten durften das Buch vor der Veröffentlichung lesen. Dann wurden auf der Pressekonferenz fünf Themen angeschnitten, und eines davon war die Katze. Klar, dass alle, die nichts gelesen hatten, sich darauf stürzten.
Aber diese Details sollen uns schon etwas über Assanges Charakter sagen?
Ich glaube schon, dass es wichtig ist, Julian zu verstehen, wenn man Wikileaks verstehen will. Und natürlich habe ich mich beim Schreiben gefragt, ob es nicht zu meiner Pflicht gehört, das allzu heroische Bild von Julian etwas zu korrigieren. Schließlich habe ich das mit aufgebaut.
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