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WikiLeaks Enthüllungen und Obamas AbzugOhnmächtige Supermacht

Die Wikileaks-Akten offenbaren grausige Zustände in Iraks Gefängnissen. US-Medien kritisieren, dass das nicht die Zustände sind, die Obama zum Abzug aus dem Irak in Aussicht stellte.

Was bleibt, wenn die US-Truppen abziehen? (Archivbild von Obamas Besuch in Camp Victory im Irak 2009) Bild: ap

WASHINGTON dpa | Die knapp 400.000 Dokumente waren noch gar nicht im Netz, da ging die US-Regierung schon vehement gegen die Enthüllungsplattform Wikileaks vor. Außenministerin Hillary Clinton höchstselbst warnte, die Veröffentlichung könne Leben gefährden. Die nationale Sicherheit der USA und anderer stehe auf dem Spiel.

Das Pentagon forderte von Wikileaks, die geheimen Dokumente sofort wieder aus dem Netz zu nehmen. Längst wisse man, dass Terroristen sie nach Brauchbarem für Anschläge durchforsteten. Nichts half: Wikileaks dokumentiert mit dem jüngsten Coup nicht nur den Krieg, sondern auch die Ohnmacht einer Supermacht im Zeitalter des Internets.

Besonders delikat für die USA: Viele der Berichte über grausige Zustände, Folter und Barbarei in irakischen Gefängnissen sind noch gar nicht so alt. Und bis Ende 2011 will US-Präsident Barack Obama alle amerikanischen Truppen aus dem geschundenen Land abgezogen haben - nachdem er erst am 1. September nach mehr als sieben Jahren den Kampfeinsatz dort für beendet erklärt hatte.

Die Dokumente über geschlagene, versengte, verätzte, gepeitschte Häftlinge seien in jeder Hinsicht "ein beängstigendes Porträt der Gewalt", befindet die New York Times, die wie eine Reihe anderer Medien weltweit die Akten sichtete. Sie seien aber "besonders besorgniserregend, weil Iraks Streitkräfte und Polizei zentrales Element von Obamas Plänen für den Abzug sind", merkt das Blatt an.

In der Tat erklärte der Präsident feierlich im Oval Office: "Das irakische Volk hat jetzt die Hauptverantwortung für die Sicherheit des Landes." Er vergaß nicht anzufügen: "Natürlich wird die Gewalt nicht mit unserer Kampfmission enden". Eine Sorge, die nach der Veröffentlichung der Dokumente über brutale Übergriffe irakischer Offizieller nicht nur mit Blick auf Terroranschläge gelten dürfte.

Für die Amerikaner sind derweil der Irak-Krieg und wohl auch die Dokumente nicht mehr als die Erinnerung an einen Dämon aus längst vergangenen Tagen - zumal die veröffentlichten Akten am Ende dann doch "anscheinend keine größeren Enthüllungen" zu bieten haben, wie die Washington Post urteilt.

Außerdem war es nicht die Obama-Regierung, die den weltweit kritisierten Waffengang vom Zaun gebrochen hatte. Schon den Krieg in Afghanistan halten einer Umfrage der Wirtschaftsagentur Bloomberg zufolge derzeit gerade sieben Prozent der US-Bürger für das wichtigste nationale Thema. Die blutarme Konjunktur beschäftigt Amerika im Moment, eineinhalb Wochen vor den Kongresswahlen, weit mehr als Kriege und Krisen in der Ferne.

Als Obama das Ende des Kampfeinsatzes verkündete, machte er wohl auch mit Blick auf die nahenden Wahlen am 2. November klar, worauf es ihm ankommt: Amerika soll sich wieder stärker auf sich selbst konzentrieren. Man habe einen hohen Preis für den Waffengang bezahlt - rund 4400 tote US-Soldaten und Kosten von über einer Billion Dollar (715 Milliarden Euro).

Aber Obama gab auch ein Versprechen ab: "Unsere Kampfmission geht zu Ende, nicht aber unsere Verpflichtung für die Zukunft des Iraks." Die Irak-Dokumente legen nahe, dass der US-Präsident daran noch häufig erinnert werden dürfte.

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9 Kommentare

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  • S
    Stefan

    "Letztlich war die Leidensbilanz im Irak unter dem grausamen Diktator Saddam Hussein wesentlich geringer als nach seiner Beseitigung."

    @ rugero: klasse schöngeredet!

     

    Fakt ist: Kriege sind nie nett.

    Die Weltgemeinschaft hat versagt und versagt weiterhin. Die UN ist eine Interessenvertretung von Diktaturen und Antidemokraten - leider finanziert vom (bösen) Westen.

  • R
    rugero

    Wer die Geschichte der US-Kriege der letzten 50 Jahre verfolgt hat, konnte eigentlich nicht viel anderes erwarten als die Wikileaks-Akten nun offenbarten. Schon beim Thema Vietnam haben wir hinterher sehr viel unappetitliches erfahren müssen.

     

    Traurig ist, daß das Strickmuster immer das gleiche ist: Die USA suchen sich einen Grund, wie weit hergeholt der auch sein mag, und versuchen mit militärischen Mitteln angebliche Probleme zu bekämpfen, die militärisch nicht zu lösen sind (Vietcon, AlQaida, Taliban).

     

    Letztlich war die Leidensbilanz im Irak unter dem grausamen Diktator Saddam Hussein wesentlich geringer als nach seiner Beseitigung. Und wenn dann alles in Schutt und Asche liegt gehen die Invasoren einfach nach Hause und übertragen den Irakern großzügig die Verantwortung. Im Grunde ging es ja nur um ÖL. Ziemlich zynisch das alles !

     

    Schade, daß es mit Obama jetzt ausgerechnet den Falschen erwischt. Aber es ist andererseits sehr beruhigend, daß im Intenetzeitalter Schweinereien schneller und umfangreich aufgedeckt werden.

  • V
    vic

    Nachsatz:

    Wir* sollten nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Wir - die BRD - sind ganz vorne mit dabei. Das läuft in Afghanistan nicht anders;

    und trotz gegenteiliger Meinung waren und sind wir auch im Irak beteiligt.

    * Mit "wir" ist die Bundesrepublik gemeint, mich ausgenommen. Ich verachte alles Militärische.

  • V
    vic

    ach gottchen, jetzt geben sich aber alle erschrocken.

     

    Waren sie doch davon überzeugt, dass wir die Kämpfer für Friede, Freude, Eierkuchen sind, und das ganze zudem eine grundsätzlich humanistische Mission ist.

    Wir wollen doch nur ihr Bestes.

    ...und jetzt hat wieder einer geplaudert...- Mist!

  • I
    ingo-marie

    Durch diese Dokumente bekommen die USA endlich eine belastbare Faktengrundlage für eine sachlich und nachhaltig zu führende Diskussion über Staat, Krieg, Gewalt, Korruption. Von Menschlichkeit wird erfahrungsgemäß ohnehin niemand sprechen, denn die kommt in amerikanischen Politikerhirnen nicht mehr vor.

    Ausgerechnet Hillary Clinton, die wendehälsige Karrierejuristin aus den Südstaaten, greift die Veröffentlichung schon an, bevor sie nur ein Wort davon gelesen haben kann.

     

    Danke Wikileaks, bitte geben Sie uns ein realistisches Bild vom amerikanischen Krieg.

    Das stopft die Lügenmäuler des Pentagon, hoffentlich ein für allemal.

  • G
    Geisterhoernchen

    grausige Zustände in Iraks Gefängnissen?

     

    Da ist noch viel, viel mehr in vielen anderen Geheimpapieren, die aus dem Bereich Regierung und Bankenlobby hoffentlich irgendwann einmal auch ans Licht kommen.

     

    Wenn herauskommen würde, wie gewisse Leute mit sehr viel Geld im Hintergrund der FED mit der Welt Monopoly spielen, würde es den Menschen eiskalt den Rücken herunterlaufen.

     

    Und ein paar gewisse Enthüllungen würde die Welt in eine nie gekannte Notsituation reißen, gegen die der Finanzskandal begonnen bei den Lehman-Brothers sich wie ein lustiger Kindergeburtstag ausnimmt.

  • MV
    Michael Vincent

    400.000 Dokumente, nicht gerade wenig und überall wo man hinguckt, weiß jeder Journalist bereits genau, was drin steht ? alles bereits gelesen, überprüft usw. ? was ist das für eine Qualität...

  • EK
    Eckhardt Kiwitt

    Gut, dass es Wikileaks gibt.

     

    So kommen auch einige unbequeme Wahrheiten ans Tageslicht.

     

    Mehr davon würde ich sehr begrüßen.

     

    Klartext und das Recht auf freie Meinungsäußerung gehören nunmal zum freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat.

     

    Das Verheimlichen begangener Staatsverbrechen hingegen ist eher typisch für Diktaturen.

  • RS
    Reinhold Schramm

    Die staatsterroristische, geheimdienstliche und imperialistische Pentagon-Institution der US-amerikanischen Kapitalinteressen, stilisierte die Veröffentlichung der Dokumente zu einer moralischen Frage hoch, um deren Veröffentlichung als unmoralisch hinzustellen. Analog den staatsterroristischen und imperialistischen Koreakrieg und Vietnamkrieg der USA und deren Bündnispartner, belegen Dokumente Mord, Folterungen und Vergewaltigungen, in Gefängnissen und zivile Opfer. Erneut bestätigen Dokumente den blutigen Alltag des Krieges auf der Schlachtbank der Gewinn- und Profitinteressen der Rüstungsindustrie, der Energie- und Rohstoffindustrie - der Konzerne, der militärischen Geopolitik des Großkapitals, der Monopolbourgeoisie und deren ökonomischen, staatlichen und gesellschaftspolitischen Administration. - Von den Mitarbeitern des BND, MAD und Bundeswehr sprach man im Zusammenhang noch nicht.