Wiener Philharmoniker in der NS-Zeit: Nazis machen Pop
Musiker mit Parteibuch, Orchester ohne Juden: „Schatten der Vergangenheit“ auf 3sat zeigt die Geschichte der Wiener Philharmoniker in der NS-Zeit.
Wenn das Publikum zum Viervierteltakt des Radetzkymarsches klatscht, wissen die wenigsten, unter welchen Umständen das berühmte Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker seinen Anfang nahm. Es war am Silvestermorgen 1939, vier Monate nach Kriegsbeginn, als das Orchester zu einem Johann-Strauß-Konzert lud. Die leichten Melodien sollten bange Gedanken über Angehörige an der Front zerstreuen.
Am 30. März zeigt 3sat die Dokumentation „Schatten der Vergangenheit – Die Wiener Philharmoniker im Nationalsozialismus“, die diese Seite beleuchtet und mit neuen Erkenntnissen unterlegt.
Die meisten Musiker verhielten sich damals nicht nur angepasst, sondern zeigten weit mehr als das erwartete Maß an Hitler-Verehrung. Und als alles vorbei war, herrschte zunächst Kontinuität und Schweigen. Jahrzehnte lang wollte sich das Orchester nicht mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen.
Vom Schicksal der jüdischen Musiker, die entlassen und ermordet wurden, fand man auf der Homepage bis vor Kurzem kein Wort. Das ist jetzt anders: Seit 12. März stehen die Forschungsergebnisse einer Historikerkommission im Netz.
Beharrlichkeit der Historiker
Der Beharrlichkeit des grünen Historikers und Nationalratsabgeordneten Harald Walser ist es wohl zu danken, dass die Philharmoniker ihre Archive schließlich öffneten. Erst kurz vor Silvester hatte er wieder für Mißstimmung gesorgt, als er Clemens Hellsberg, dem Leiter der Philharmoniker, vorwarf, er verhindere, "seit Jahren eine kritische Aufarbeitung" und habe die Archive "immer nur zum Teil" zugänglich gemacht.
Mehrmals hatten auch die junge Historikerin Bernadette Mayrhofer und ihr Schweizer Kollege Fritz Trümpi versucht, Einlass in die Archive zu bekommen. Trümpi hatte für sein Buch „Politisierte Orchester“ unter anderen schon die Archive der Berliner Symphoniker ausgewertet.
Bernadette Mayrhofer ist seit ihrer Diplomarbeit „Die Angelegenheit des Judenabbaus geht jetzt ganz ruhig vor sich“ im Jahre 2005 auf die Judenverfolgung in Österreichs Kulturbetrieb spezialisiert. Der Titel ihrer Arbeit ist ein Zitat der Staatstheaterverwaltung vom August 1938.
Jeder zweite Musiker mit Parteibuch
Tatsächlich war man in der „Ostmark“ sehr schnell mit dem „Judenabbau“. Schon wenige Tage nach dem „Anschluss“ am 13. März 1938 wurden jüdische Musiker bei den Philharmonikern entlassen. Nach Inkrafttreten der Nürnberger Rassengesetze traf es auch „Mischlinge“ und „jüdisch Versippte“.
Insgesamt 15 Musiker wurden aus politischen Gründen aus dem Orchester geworfen. Sieben von ihnen starben im KZ, während der Deportation oder nach Misshandlungen im Krankenhaus. Währenddessen hatte fast jeder zweite Musiker, der bei den Philharmonikern blieb, ein NS-Parteibuch.
Dass es auch anders ging, bewiesen die Berliner Philharmoniker, bei denen nur jeder Fünfte Parteimitglied war. Die musikalische Qualität der Wiener muss unter der Säuberung gelitten haben. „Man griff anfangs auf ein leichteres Repertoire zurück und spielte einfachere Stücke“, sagt der Zeithistoriker Oliver Rathkolb.
Wohl deshalb wurden für das erste Silvesterkonzert vor allem die vergleichsweise leichteren Stücke der Strauß-Dynastie ausgewählt. Für Trümpi, der vom Wochenmagazin profil zitiert wird, ist klar: „Der berühmte Wiener Klangstil, spieltechnisch auf die Wiener Klassik zurückgehend, verdankt paradoxerweise seinen Weltruhm der Provinzialisierung der Wiener Philharmoniker während der NS-Zeit.“
Privilegien: Musiker vom Kriegsdienst befreit
Die Philharmoniker wurden gerne für Propagandavorstellungen und private Hauskonzerte bei Nazigrößen eingespannt. Noch im März 1945, wenige Wochen vor der Kapitulation, musizierten sie im "Führerbezirk" auf dem Obersalzberg und in der SS-Kaserne Glasenbach. Immer wieder mussten sie auch zu privaten Hauskonzerten bei Nazigrößen antreten. Diese Einsätze waren - weil unbezahlt - nicht beliebt.
Allerdings machten sie sich auf andere Weise bezahlt: Gauleiter Baldur von Schirach erwirkte für die Orchestermitglieder eine Unabkömmlichstellung, die ihnen den Kriegsdienst ersparte.
Die Philharmoniker dankten es ihm mit der Verleihung des Ehrenrings, eine für Förderer der Kunst geschaffene Auszeichung, die vor ihm auch schon der Kärntner Gauleiter Friedrich Rainer und Kurzzeit-Bundeskanzler Arthur Seyß-Inquart erhalten hatten. Seyß-Inquart wurde 1946 für sein Wüten in den Niederlanden als Hauptkriegsverbrecher hingerichtet.
Die Altnazis konnten dem Orchester selbst nach 1945 noch ihren Stempel aufdrückten. So wurde Baldur von Schirach, der 1966 seine Strafe abgesessen hatte, eine Kopie des Ehrenrings nachgereicht. Ein Mitglied der Symphoniker reiste eigenes nach München, um dem ehemaligen Gönner eine Kopie des von alliierten Soldaten konfiszierten Rings nachzureichen.
Wie die TV-Dokumentation enthüllt, soll es sich bei diesem Emissär um den Trompeter Helmut Wobisch (1912 bis 1980) gehandelt haben, der nach dem Krieg als SS-Mitglied im Zuge der Entnazifizierung entlassen, 1951 aber wieder eingestellt wurde. 1954 wählte ihn sein Orchester sogar zum Geschäftsführer, 1967 erhielt er das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.
Schatten der Vergangenheit, Samstag, 30, März, 21.15 Uhr, 3sat (
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