Wiener Geheimagenten: Frauen spionieren besser
Schon im 19. Jahrhundert war Wien ein Eldorado für Geheimagenten. Die erfolgreichsten unter ihnen waren Frauen wie Litzi Philby oder Daphne Park.
E s gibt Dinge, auf die ein Österreicher nicht verzichten kann. Der untergetauchte Wire-Card Manager und Russlandspion Jan Marsalek vermisst seit seiner überstürzten Flucht die Sachertorten. Das zumindest ging aus Chat-Nachrichten mit bulgarischen Spionen hervor.
Die Bulgaren waren Teil eines russischen Agentenrings, mit dem Marsalek zusammenarbeitete. Sie erledigten ein paar geheimdienstliche Dinge für ihn in Österreich, und auf dem Rückweg sollten sie ihm noch zwei Sachertorten mitbringen. Die Bulgaren texteten zurück: „Mehr Details zum Kuchen, bitte.“
Es gibt konkurrierende Sachertortenrezepte, und es ist daher anzunehmen, dass sich die bulgarische Nachfrage auf den Rechtsstreit von 1961 bezog, in dem es um die Marmeladenschichten in der Sachertorte ging (eine oder zwei?). Damals sagte der Schriftsteller Friedrich Torberg zugunsten der Konditorei Demel und gegen das Hotel Sacher aus. Am Ende verlor Demel trotzdem und Torberg schrieb ernüchtert „In Wien gibt es Sacher und Wider-Sacher.“
Schon im 19. Jahrhundert war Wien ein Eldorado für Spione, und Marsaleks Bulgaren stehen damit in einer stolzen Tradition. Doch nicht kuchenessende Männer, sondern Geheimagentinnen feierten in Österreich ihre größten Erfolge. Auf sowjetischer Seite agierte in den 1930er Jahren die Wienerin Litzi Philby (vorübergehend verheiratet mit dem britischen Topspion Kim Philby).
Maßgeschneiderte Covers
Sie erledigte gefährliche Kurierdienste und versteckte 1934 Waffen in Wiener Abwasserkanälen. Litzi flog nicht auf und arbeitete später in der DDR beim Film weiter. Auch ihre russische Kollegin Soja Woskressenskaja (1907–1992) hatte maßgeschneiderte Covers. Unter anderem agierte sie als Reiseführerin und Kinderbuchautorin. Mit ihren Büchern erreichte sie Millionenauflagen und stieg zu einer Astrid Lindgren der Sowjetunion auf.
Erst kurz vor Sojas Tod wurde bekannt, dass sie in den 1930er Jahren für den NKWD in Österreich und Deutschland Operationen geleitet hatte. Zu ihren großen Bewunderern zählt unter anderem Wladimir Putin. Er sorgte dafür, dass man ihr 2019 eine farbenfrohe Briefmarke widmete.
Die Briten wussten ebenfalls, wie wichtig es war, Agentinnen einzusetzen. Mata-Hari-Verführerinnen waren weniger gefragt, man bevorzugte Frauen, die von Männern regelmäßig übersehen werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg schickte der britische Auslandsgeheimdienst MI6 die unscheinbare Daphne Park in das besetzte Österreich. Auch sie interessierte sich für das unterirdische Wien, aber anders als Litzi Philby versteckte sie keine Waffen in der Kanalisation, sondern konzentrierte sich auf Abhörtunnels.
Im britischen Geheimdienst stieg Daphne im Laufe der Jahre hoch auf. Die Schauspielerin Judi Dench sieht ihr als „M“ in den James Bond Filmen ein wenig ähnlich. Dench könnte sich für ihr Rollenstudium aber auch aktuellere Vorbilder ausgesucht haben. Mittlerweile sind bereits zwei Frauen zu Direktorinnen des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 ernannt worden. Der gegenwärtige Chef von MI6 sagte in einem Interview, er hoffe, seine Nachfolgerin würde eine Frau sein.
Karina Urbach liest am 6. Mai im Augustinum in Kleinmachnow bei Berlin aus ihrem Agentenroman „Das Haus am Gordon Place“.
Etwas Ähnliches wäre bei den deutschen oder österreichischen Nachrichtendiensten undenkbar. Dort bevorzugt man Männer. Leider haben ein paar dieser Herren in letzter Zeit eine Neigung zu aushäusigen Männerbünden gezeigt. Vielleicht wäre es daher besser, sich mehr auf die Frauen zu verlassen. Sie sind loyaler. Darüber hinaus hätten Soja und Daphne ihre Mitarbeiter auch nicht mit privaten Kuchenbestellungen à la Marsalek belästigt. Diese Frauen waren einfach in einer anderen Liga.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale