■ Die Italiener haben diesmal nicht nur gewählt, sondern entschieden: zwei Sieger und zwei spektakuläre Verlierer: Wiedervereinigung Italiens?
Es war keineswegs abgemacht, daß diese Wahl überhaupt einen Sieger haben würde. Die meisten Kommentatoren der Intelligenzpresse spekulierten auf eine Pattsituation zwischen (Mitte-)Rechts und (Mitte-)Links.
Dann wäre erneut ein „runder Tisch“ der Verfassungsreform notwendig geworden, und man wäre wohl zur „Formel Sartori“ zurückgekehrt, also zu einem dem französischen Präsidialsystem nachgebildeten politischen Modell der Zweiten Republik. Die Experten hätten entschieden, wenn das Volk unentschieden geblieben wäre.
Doch diesmal hat das Volk nicht nur gewählt, sondern sogar entschieden: Die von seiten des rechten „Pols der Freiheit“ mit harten Bandagen geführte und von antikommunistischen Ängsten geschürte Wahlkampagne hat ein klares Ergebnis – zwei Hauptsieger, diverse Nebensieger (darunter den amtierenden Regierungschef Dini, der sich der Ölbaumkoalition angeschlossen hatte) und zwei spekakuläre Verlierer.
Selbst dieses Mehrheitswahlrecht „all'italiana“ – also ein korrigiertes und kompliziertes Wahlsystem, durch das eine Quote von 25 Prozent der Parlamentarier per Listenwahl bestimmt wird – läßt keinen Zweifel: Die Sieger heißen Prodi (zirka 5 Prozent Stimmenvorsprung des Ölbaums vor der Rechten) und Bossi.
Romano Prodi, die emilianische „Mortadella mit menschlichem Antlitz“, ehemaliger christdemokratischer Manager der größten staatlichen Industrie-Holding, Universitätslehrer, Linkskatholik und Anticharismatiker par excellence, hat es wider aller Erwartungen geschafft. Prodi hatte in Italien den Anti-Bonus, den in Deutschland etwa Rudolf Scharping genoß – Modernismus und Solidarität, untermischt mit viel Glaube, Hoffnung und Nächstenliebe –, doch am Ende hat sein Anti-Image dieselbe Wählerschaft überzeugt, die sich weiland deutlich in Referenden dagegen ausgesprochen hatte, Berlusconi das Monopol des Privatfernsehens auch nur zu beschneiden. Für die res publica, die öffentliche Sache, wählten Norden und Süden Italiens den gutmütig- ehrlichen Sachwalter ohne Interessenkonflikte und Bestechungsverfahren.
Der zweite Sieger – mindestens ebenso spektakulär – ist die Lega Nord, und in primis ihr großer Steuermann Umberto Bossi. In der Lombardei (da jetzt mit 21 Prozent) und im Veneto die erste Partei, konnte die Lega ihre Stimmzahl noch verbessern (zirka 10 Prozent der Wähler auf nationaler Ebene) und sich wider das kleine Parteien gnadenlos vernachlässigende Fast-Mehrheitswahlrecht siegreich behaupten. Es fällt zwar schwer zu glauben, daß die mittelständischen und steuerrebellischen Wähler der Lega tatsächlich an Bossis brave heart-Mythos glauben und den Freiheitskampf der Poebene gegen die römische Wölfin, die „Herrin und Räuberin Rom“, führen wollen.
Aber sie wollen eine Steuerreform, eine verschlankte und bürgernähere Verwaltung, und sie sind eher „rassistisch“ gegen Süditaliener eingestellt als gegen Afrikaner oder osteuropäische Illegale. Die Lega wird also eine föderale Staatsreform zum Preis für ihre Stimme in allen anderen Feldern machen – und sie dürfte für die Ölbaumkoalition weitaus schwerer zu verdauen sein, als die Abgeordneten von Rifondazione Comunista, die mit ihrem linkssozialdemokratischen Programm der Arbeitszeitverkürzung genügend kulturelle Gemeinsamkeiten mit der PDS-Basis oder mit linken Katholiken aufweisen.
Die Nebensieger heißen D'Alema, der die postkommunistische PDS zum ersten Mal mit Disziplin und Überzeugungskraft (und Stimmenzuwachs) in eine Regierungskoalition hineinführen kann, Regierungschef Dini und Gianfranco Fini.
Die Alleanca Nazionale hat nicht nur zirka zwei Prozentpunkte an Stimmen, sondern auch eine definitiv über die extreme Rechte (wenngleich noch nicht über Italiens Grenzen) hinausreichende Respektabilität erringen können. Wie stark die extreme Rechte dennoch ist, zeigt auch das bescheidene, aber achtbare Abschneiden von Pino Rautis „Fiamma Tricolore“, einer Art Rifondazione-Fascista- Neugründung, die recht radikale national-volkstümliche Sozialprogramme verfochten hat.
Und natürlich hat auch der telegene Fausto Bertinoti nicht nur über 8 Prozent Stimmen, sondern Glaubwürdigkeit für Rifondazione Comunista, die linke Nachfolgetruppe der KPI, sammeln können.
Verlierer ist die politische Macht des Privatfernsehens: Berlusconi hat in der Tat das eigene Image inflationiert, sein Teppichhändler-Lächeln, seine endlosen Reden ohne substantielle politische Programmatik haben sich totgelaufen. Verkalkuliert hat sich auch das politische Enfant terrible Italiens, Marco Panella, der gleichzeitig die Rolle eines Verbündeten der postfaschistischen Rechten und des Vorkämpfers libertärer Freiheiten spielen wollte. Die Wähler haben den Kanal gewechselt.
Politisch offen ist darum nicht nur die interne Mehrheitsfähigkeit der siegreichen stabilitätsorientierten Ölbaumkoalition, die teilweise auf Stimmen von außen (Rifondazione Comunista) angewiesen sein wird, sondern die Zukunft der zweitstärksten Partei des italienischen Parlaments: Wird Forza Italia – ohne Berlusconi als Kandidaten des Sieges – als Oppositionspartei dauerhaft überleben können?
Natürlich ist eine seriöse Ursachenanalyse bei halbgaren Hochrechnungen nicht möglich. Nur soviel: Beide Blöcke – der linke Ölbaum und der rechte Freiheitspol – waren (und sind) keine homogenen Kräfte. Aber die Heterogenität des Berlusconi-Pols konnte auch durch die erfolgreiche TV- Performance seines Führers nicht übertüncht werden. Mit dem authentischen Erfolg der föderalistisch-neoliberalen Lega Nord mußte innerhalb der Rechten auch der Widerspruch zwischen einer Anti-Steuer-Rechten und einer national-wohlfahrtsstaatlichen Rechten explodieren.
Umgekehrt wird Prodis (und Dinis) Regierung auf eine moralische „Wiedervereinigung Italiens“ (so Prodi nach dem Sieg) angewiesen sein – also auf jene Mischung aus kirchlicher Basisarbeit, Clinton-Gores Autobustour und einer späten Liebe zwischen linker Solidarität und katholischer Nächstenliebe, die der Mitte-links-Koalition am Sonntag den Sieg beschert hat.
Prodi braucht die Ressource Solidarität, wenn er die europäischen Stabilitätsstandards ebenso erfüllen will wie die Hoffnungen seiner Wähler. Otto Kallscheuer
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