Wiedervereinigte Familie in Indonesien: Jamaliahs Tsunami-Kinder
Vor zehn Jahren entriss der Tsunami einem Elterpaar Sohn und Tochter. Jetzt sind die totgeglaubten Kinder zurück. Aber sind sie es wirklich?
MEULABOH ap | Es war kurz vor acht Uhr morgens, am 26. Dezember 2004. Jamaliah hängte Wäsche auf, ihre drei Kinder saßen vor dem Fernseher. Als die Erde anfing zu beben, rannten alle aus dem rund 500 Meter vom Meer entfernten Haus. Dann hörten Jamaliah und ihr Mann Septi Rangkuti Menschen schreien: „Das Wasser kommt, das Wasser kommt!“
Auf ihrer Flucht schaffte es die Familie gerade noch bis zum örtlichen Markt, dann holte die Wasserwand sie ein. Jamaliah und ihr achtjähriger Sohn wurden von der Welle weggerissen, aber sie schafften es irgendwie, sich aneinander festzuklammern. Rangkuti setzte seinen zweiten siebenjährigen Sohn und seine vierjährige Tochter auf ein großes Holzbrett. Er hielt sich daran fest, so lange er konnte. Als sich das Wasser zurück zum Meer zog, rutschten seine Hände ab.
Stunden später fanden Jamaliah und ihr ältester Sohn Rangkuti auf einer Straße. Ein Blick in seine leeren Augen, und Jamaliah wusste: Ihre beiden anderen Kinder waren weg.
Etwa 230.000 Menschen in 14 Ländern rund um den Indischen Ozean kamen durch die gewaltige Naturkatastrophe ums Leben, drei Viertel von ihnen in der indonesischen Provinz Aceh. Die meisten der nach dem Tsunami gefundenen 1500 Kinder wurden mit ihren Familien wiedervereint oder von Nachbarn oder Freunden aufgenommen. Einige landeten auch in Waisenhäusern.
Jamaliah und Rangkuti verbrachten Wochen damit, nach ihrem Sohn Arif Pratama und ihrer Tochter Raudhatul Jannah zu suchen. Sie hatten alles verloren und zogen schließlich zu Verwandten. Die Zeit verging, Jamaliah brachte einen weiteren Sohn zur Welt, das Leben ging weiter. Aber die Eltern gaben die Hoffnung nie auf, dass sie eines Tages ihre verlorenen Kinder wiedersehen würden.
Wiedersehen mit der Tsunami-Waisin
Dann, im vergangenen Juni, kam ein Anruf von Jamaliahs Bruder Zainuddin. Er habe drei Nächte hintereinander von einem Mädchen in Banda Aceh geträumt, schilderte er, und am dritten Morgen in einem Café in der Nähe seines Hauses ein Gesicht gesehen, das genauso aussah wie das in seinen Träumen – eine jüngere Version von Jamaliah.
Zainuddin erfuhr, dass das Mädchen eine Tsunami-Waisin sei. Ein Fischer habe es zusammen mit einem Jungen auf einer Insel gefunden. Die 14-Jährige, Weniati genannt, konnte sich an kaum etwas aus dem Leben vor dem Tsunami erinnern, aber daran, „als wir auf dem Brett waren. Ich war dort mit meinem Bruder (...) Ich wurde am Strand gefunden und zu einem Haus gebracht. Das war da, wo wir getrennt wurden.“
Im Juli reisten Jamaliah und Rangkuti nach Süd-Aceh, um das Mädchen, das bei verschiedenen Angehörigen einer Pflegefamilie gelebt hatte, zu treffen. Wie Jamaliah schilderte, war es schwer zu sagen, ob Weniati wirklich ihr Kind ist. Das Mädchen hatte nur sporadisch die Schule besucht und den Bildungsstand einer Viertklässlerin.
Jamaliah durfte Weniati für drei Tage nach Meulaboh bringen, wo die Familie vor dem Tsunami gelebt hatte. Das Haus, in dem die Großmutter des Kindes damals wohnte, hatte den Tsunami überlebt. Und Weniati, so Jamaliah, reagierte. „Sie erinnerte sich an das Hühner-Gehege und den Rambutan-Baum.“
Nach anfänglichem Zögern ließ Sarwani, die Pflegegroßmutter, die sich zuletzt um das Mädchen gekümmert hatte, ihren Schützling gehen. Auch ohne einen DNA-Test, den sich Jamaliah und ihr Mann nicht leisten konnten. „Es stellte sich heraus, dass Weniati selbst überzeugt ist, dass Jamaliah ihre Mutter und Rangkuti ihr Vater ist“, schildert Sarwani. „Ich wollte nicht die Wiedervereinigung einer Tochter mit ihrer Mutter verhindern.“
Wie eine neugeborene Familie
Dann kommt wieder ein schicksalsträchtiger Tag. Die Geschichte von Jamaliah und dem Mädchen wird im Fernsehen geschildert und ein Bild von den vom Tsunami weggerissenen Kindern gezeigt, aufgenommen vor der Katastrophe. Lana Bestir in West-Sumatra sieht es und stutzt. Arif auf dem Foto hat starke Ähnlichkeit mit einem obdachlosen Jungen, den sie als Ucok kennt und mit Essen versorgt, seit er vor Jahren in ihrem Internet-Café auftauchte. Sie zeigt ihm dann ein Bild von Jamaliah, das sie im Internet gefunden hat, und Ucok ruft aus: „Das ist meine Mutter. Ja, das ist meine Mutter, Liah!“
Wieder ein Wunder? Als Jamaliah nach einem Anruf den Jungen trifft, kann sie ihn ebenfalls schwer wiedererkennen. Ucok beherrscht kaum eine Sprache und hat die Mentalität eines viel jüngeren Kindes. Er kann sich nur daran erinnern, an einen Strand gespült und zunächst bei anderen Leuten gelebt zu haben. Als er einmal zu lange im Bett geblieben sei, habe ihm eine Frau heißen Kaffee ins Gesicht geschüttet. Danach sei die Straße sein Zuhause geworden.
Die Familie lebt jetzt zusammen. Der Junge spricht mittlerweile schon fließend, Jamaliah und ihr Mann wollen ihn auf ein Internat schicken, damit er eine gute Grundbildung erhält. Auch Raudhatul soll zur Schule.
Jamaliah zufolge zweifeln manche daran, dass ihre Geschichte wahr ist. Aber das macht ihr nichts aus. Selbst wenn ein DNA-Test negativ ausfiele, würde das niemals ihre Mutterliebe beeinträchtigen, sagt sie. „Wir fühlen uns wie eine neugeborene Familie. Ich habe manchmal das Gefühl, es ist ein Traum. Aber dann vertraue ich einfach auf Gott und glaube, dass dies meine Familie ist.“
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