Wiederaufbau nach dem Erdbeben 2012: Italiens Trümmerfrauen

Ein Jahr nach dem Erdbeben in Reggio Emilia bauen Unternehmerinnen ihre Läden wieder auf. Das Netzwerk „EmiliAmo“ hält sie davon ab, zu verzweifeln.

Gemeinsamkeit macht gute Laune: Die Frauen vom Netzwerk EmiliAmo. Bild: EmiliAmo

Die Erdbeben, die im Mai 2012 die Ebene der Reggio Emilia erschütterten, zerstörten nicht nur die historischen Zentren der Städte – von Mirandola bis Finale Emilia, von Cavezzo bis Novi und von San Felice bis Concordio –, sondern auch Hunderte kleiner Geschäfte, die zu neunzig Prozent von Frauen betrieben wurden.

Von einem Moment auf den anderen waren Läden, Bars und Werkstätten eingestürzt oder aus Sicherheitsgründen nicht mehr zugänglich. Die Eigentümerinnen gaben jedoch nicht auf, sondern schlossen sich auf Initiative der 39-jährigen Claudia Miglia, Berufsberaterin und Ausbildungsleiterin, zu einem Netzwerk zusammen, das im Laufe der Monate immer größer wurde und über 500 Geschäftsfrauen eine Aufgabe und damit Hoffnung gibt. Das Netzwerk heißt „EmiliAmo“, ein Wortspiel aus Amo l’Emilia (Ich liebe Emilia), das den Wunsch der Beteiligten zum Ausdruck bringt, nicht zu verzweifeln.

Ein Jahr nach dem Erdbeben kann man sagen, dass das Projekt erfolgreich war. Viele Frauen haben ihre Geschäfte wieder in Containern, Holzhütten oder Gebäuden wie dem überdachten Platz in Mirandola eröffnet. „Am Tag nach dem zweiten Beben, am 29. Mai (das erste war am 20. Mai, Anm. des Autors)“, erzählt Claudia Miglia, „bildete sich nach vielen Telefongesprächen eine Gruppe von etwa fünfzig Eigentümerinnen kleiner Geschäfte, Inhaberinnen von Modegeschäften, Schönheitssalons, Friseurläden, Tabakläden, alles Frauen, denen die Geschäfte in den historischen Zentren der Städte vor den Erdbeben gehört hatten. Wir trafen uns am 5. Juni zum Abendessen und beschlossen, noch einmal von vorne anzufangen.“

Diesen Text lesen Sie in der taz.am wochenende vom 22./23. Juni 2013. Darin außerdem: „Das ist die Lösung!" Es gibt viele Ideen für eine bessere Welt. Man muss sie nur suchen – und aufschreiben. Ein Spezial der taz und 21 weiterer Zeitungen. Die Transsexuelle Jane Thomas und ihre älteste Tochter über die CSU und Familie. Und: Der Gezi-Park ist geräumt, aber der Protest geht schweigend weiter. Aus alten Feinden sind neue Freunde geworden. Unterwegs mit den Fußballfans von Besiktas Istanbul. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Zunächst wichen sie auf die Märkte aus, die von den Behörden der von den Erdbeben betroffenen Regionen, Modena, Reggio Emilia und Bologna in Kooperation mit den örtlichen Gemeinden eingerichtet wurden. „Den ganzen Sommer 2012 verbrachten wir damit, von Markt zu Markt zu reisen und unsere Produkte zu verkaufen. Am Ende hatten wir 200.000 Euro zur Seite gelegt, mit denen wir unsere Geschäfte aufrechterhalten konnten.“ Wenn man von so einem gewaltigen Ereignis wie einem Erdbeben betroffen sei, brauche man vor allem jede Menge Vorstellungskraft und „die Fähigkeit zu rennen“.

Durch die entstandenen Kontakte und die Einkaufsgemeinschaften gelang es den Frauen des Netzwerks, etwa Parmigiano Reggiano im Wert von 300.000 Euro zu verkaufen. „Wir haben Erfolg, weil wir ein Team sind, eine Person alleine kann gar nichts machen.“ Claudia Miglia ist die Koordinatorin des Netzwerks, das eine Kontaktfrau in jeder vom Erdbeben betroffenen Stadt hat. Der Gruppe geht es nicht nur um Geschäftliches, sondern auch um die psychologisch-emotionalen Aspekte des gemeinsamen Tuns.

Gegen die Mutlosigkeit

„EmiliAmo half uns sofort, dem Drang, über unsere zerstörten Geschäfte zu weinen, nicht mehr nachzugeben. Denn von Markt zu Markt zu reisen oder bloß zusammen Pizza zu essen, macht einfach gute Laune“, sagt die Gründerin der Non-profit-Organisation. Als der Herbst kam und damit die Gefahr, in Mutlosigkeit zu versinken, organisierten die Frauen des Netzwerks in Mirandola gemeinsam mit den Fitnessstudios der Stadt Events wie „Schönheit und Fitness“.

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In Cavezzo gab es eine Lotterie, an der sich neunzig Geschäfte beteiligten. Für jede zehn Euro, die dort ausgegeben wurden, bekam man ein Los, mit dem man für einen Einkauf in einem anderen Laden der Stadt einen Rabatt gewinnen konnte. Zusätzlich gab es natürlich Merchandising: T-Shirts, Namensschilder, Frühstückstassen, Sticker, alle mit dem EmiliAmo-Logo, den Netzwerk-Slogans und den Facebook- und Twitter-Benutzerkonten.

Für den Sommer 2013 ist eine Reihe von Festen geplant, das erste unter dem Motto „Dal terremoto al tortellino“ in Cavezzo, wo man selbst Pasta herstellen kann. Außerdem gibt es Workshops für Tortendesign und Visual Food sowie Kochkurse für gestresste ManagerInnen. Miglia möchte so dazu auffordern, etwas Überzeugendes zu gestalten. „Auch wenn Häuser wie Kekse zerkrümeln mögen“, sagt sie, „unsere Erfahrungen sind wiederholbar.“

Aus dem Englischen von Heike Brandt

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