Wiederaufbau im Irak: Investoren dringend gesucht
Den Wiederaufbau muss der Irak künftig allein bewerkstelligen. Die Regierung wirbt deshalb um ausländische Firmen. Doch die Sicherheitslage wirkt abschreckend. Ein Ortstermin.
BAGDAD taz | Irakische Flaggen und riesige Blumengestecke - das Ölministerium hat sich herausgeputzt. Heute findet eine Auktion statt, bei der es um den Zuschlag für einige der größten Ölfelder weltweit geht. Nur für zwei Felder bestehen überhaupt Angebote, für die Regierung ist es dennoch ein Erfolg. Sollten sich die Erwartungen erfüllen, könnte der Irak binnen fünf Jahren sein Fördervolumen verdoppeln. Das Land braucht die Einkünfte dringend. Denn nach wie vor ist der Staat komplett von den Öleinkünften abhängig.
Genau das will die Regierung ändern. Deshalb, und weil es dauert, bis die Ölquellen sprudeln, wirbt sie um private Investoren. Kürzlich öffneten also das erste Mal seit 2003 wieder die Pforten der Handelsmesse. Jahrelang galt der Stadtteil Mansur mit dem Messegelände als völlig unsicher, doch heute scheint die Angst gebrochen. Das ehemals vornehme, mehrheitlich sunnitische Viertel hat wieder etwas von seinem ehemaligen Flair.
Die Scharfschützen auf den Dächern rund um das Messegelände holen einen freilich schnell in die Gegenwart zurück. Die verheerenden Anschläge in dieser Woche, die über 120 Menschen das Leben kosteten, verstärken bei vielen das Gefühl, dass die Terrorgefahr nach wie vor immer und überall lauert.
Mit der Messe wollte die Regierung den Bürgern demonstrieren, dass sie sich von den Extremisten nicht in die Knie zwingen lässt. Soldaten und Polizisten haben das Gelände großräumig abgeriegelt, und wie immer in öffentlichen Einrichtungen muss man sich langwierigen Taschen- und Körperkontrollen unterziehen. Kritiker werfen Regierungschef Nuri al-Maliki vor, er wolle mit der Messe vor den im März stattfindenden Wahlen sein ramponiertes Ansehen aufpolieren.
Die Bezeichnung "international" verdient die Messe nur teilweise. Offiziell haben sich 400 Unternehmen aus 32 Ländern angemeldet. Doch wer nach Geschäftsleuten aus aller Welt sucht, wird enttäuscht. "Für uns Iraker hat sich die Lage verbessert", sagt Amir al-Mussawi, der ein deutsches und ein serbisches Unternehmen im Irak vertritt. Nachdem Al-Qaida-Extremisten seinen Sohn und Bruder ermordet hatten, war Mussawi nach Syrien geflohen. Diesen Sommer kehrte er zurück. "Für Ausländer ist der Irak aber immer noch viel zu gefährlich."
Wie Mussawi hält auch Mansur Flamars, Geschäftsführer der irakischen Al-Nabaa Group, wenig von den Appellen der Regierung an ausländische Firmen. Die Regierung solle für Sicherheit sorgen, sich um die Infrastruktur kümmern und das Investitionsklima verbessern, dann ergäbe sich alles andere von selbst, sagt Flamars.
Eine undurchsichtige Bürokratie, konkurrierende Parteiinteressen und Korruption machen selbst irakischen Unternehmen das Leben schwer. Ausländer scheitern oft schon an einer scheinbar so einfachen Angelegenheit wie dem Visum. Selbst wenn sie einen Auftrag in der Tasche haben, kann es ihnen blühen, dass der Handel am Ende nicht zustande kommt. So hatte das Elektrizitätsministerium mit General Electric und Siemens einen Vertrag in Höhe von drei Milliarden Dollar über den Bau von Elektrizitätskraftwerken geschlossen. Die Unterschriften waren kaum trocken, da stellte die Regierung fest, dass ihr das Geld für den Auftrag fehlte. Nach monatelangem Tauziehen sprang schließlich die Zentralbank mit einem Darlehen ein.
Immerhin haben die Hauptstädter seit ein paar Wochen neun Stunden am Tag Strom, nachdem sie sechs Jahre lang mit zwei bis vier Stunden auskommen mussten. Auch Zugang zu Trinkwasser haben heute doppelt so viele Iraker wie vor dem Krieg, wenn auch rund ein Drittel der Bevölkerung weiterhin ohne regelmäßige Trinkwasserversorgung auskommen muss. Dabei könnte durch den sparsameren Umgang mit Wasser viel gewonnen werden. Mit Broschüren und Plakaten wirbt ein Mitarbeiter des Umweltamts auf der Messe für den sorgsamen Umgang mit Wasser.
Sobald Ahmed Abdurrasak Chudheir einen Besucher erspäht, springt er von seinem Stuhl auf und drückt ihm eine Broschüre in die Hand. "Machen Sie mit bei der Verschönerung unserer Stadt", sagt er unermüdlich. Mit seiner Charmeoffensive für den Umweltschutz findet Chudheir nur bedingt Anklang. Das sei wohl ein Witz, meint ein Mittvierziger, als er die Broschüre mit Tipps zum Wassersparen sieht. Chudheir lässt sich nicht entmutigen. "Sie glauben, Umweltschutz sei Luxus, den wir uns erst leisten können, wenn wir uns nicht mehr um die Sicherheit Sorgen machen müssen", sagt der der 23-Jährige. "Aber beides gehört zusammen. Indem wir die Lebensqualität in unserer Stadt verbessern, erhöhen wir auch die Sicherheit."
In vielen Bereichen waren es bisher vor allem die Amerikaner, die zur Verbesserung der Infrastruktur beigetragen haben. Insgesamt hat Washington rund 50 Milliarden US-Dollar in den Irak gesteckt. Es ist das größte Wiederaufbauprogramm der USA seit dem Marshallplan in Westeuropa nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Etliche Projekte wurden allerdings nie fertiggestellt oder wiesen gravierende Mängel auf. Andere fielen dem Raubzug von Angestellten zum Opfer, kaum dass sie in den Besitz der irakischen Regierung übergegangen waren.
Mit dem Rückzug der amerikanischen Truppen reduziert Washington auch seine Zahlungen. Das Pionierkorps, das mehr als neun Milliarden in den Wiederaufbau steckte, wickelt nur noch die laufenden Projekte ab. In den nächsten zwölf Monaten wollen die Amerikaner ihre Wiederaufbauteams in 18 Provinzen auf sechs Teams reduzieren.
Bagdad muss den Wiederaufbau künftig also aus eigener Kraft schultern. Angesichts eines Haushaltsdefizits von 19 Milliarden Dollar und einem voraussichtlichen Defizit von 15 Milliarden im kommenden Jahr sucht die Regierung händeringend ausländische Investoren. Dazu sind in diesem Jahr riesige Delegationen aus Ministern, Gouverneuren und Beamten von einer Investitionskonferenz zur nächsten gereist. London, Washington und Berlin standen bereits auf dem Programm, Paris und Tokio sollen bis Jahresende noch folgen.
Die Ausbeute der vielen Reisen ist bislang nicht wirklich zu erkennen. So ist der Staat nach wie vor der größte Arbeitgeber im Land. Die Gehälter, Renten und administrativen Ausgaben verschlingen fast drei Viertel des Haushalts. Dennoch ist die Arbeitslosigkeit hoch, und jedes Jahr drängen Zehntausende neue Jobsuchende auf den Arbeitsmarkt. Neben der schwierigen Sicherheitslage ist es die Rechtsunsicherheit, die ausländische Firmen abschreckt. Das gilt selbst für die milliardenschweren Ölverträge. Ob die Verträge, die heute geschlossen wurden, angesichts des ungelösten Streits über das Ölgesetz über den Tag hinaus Bestand haben werden, ist fraglich.
Bei aller Skepsis können die Unternehmer aber auch mit guten Nachrichten aufwarten. So hat Mussawi kürzlich einen Regierungsauftrag in Höhe von 700 Millionen Dollar für die Lieferung von Abwasserrohren an Land gezogen. "Man darf sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen", sagt der Ingenieur.
Der einzige Ausweg aus der Misere sei die Zurückbindung des Staats und die Stärkung des Privatsektors, meint Flamars von der Al-Nabaa Group. Nur so könne garantiert werden, dass die Bürger beste Qualität und guten Service erhielten. Zusammen mit zwei Partnern hatte Flamars vor zwanzig Jahren ganz klein angefangen. "Bis 2003 haben wir uns durchgewurschtelt", sagt Flamars. "Aber von Unternehmensführung hatten wir, ehrlich gesagt, keine Ahnung." Das habe sich erst geändert, als er und seine Partner nach Dubai gingen. Heute beschäftigt das Unternehmen mehr als 100 Angestellte. Trotz Wirtschaftskrise hat sich der Umsatz in den letzten Jahren fast verdoppelt. Das liegt auch am Angebot.
Neben IT-, Software- und Netzwerklösungen bietet die Unternehmensgruppe diverse Sicherheitstechnik an. Genau das Richtige für Hauptstädter. Um den Messestand hat sich eine dichte Traube gebildet. Aus der Nachbarhalle dröhnt in ohrenbetäubender Lautstärke arabische Popmusik. Die Besucher scheint das nicht zu stören. Ausführlich lassen sie sich Bewegungsmelder und Überwachungskameras erklären. Besonderen Anklang findet ein satellitengestütztes Überwachungssystem, mit dem sich die Fahrtroute eines Autos nachverfolgen lässt.
Sicherheit ist Trumpf. Dagegen steht Chudheir mit seinem Einsatz für den Umweltschutz auf verlorenem Posten. Besonders von den Männern erntet er mit seinen Tipps zum sparsamen Autowaschen meist nur Kopfschütteln und mitleidige Blicke.
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