■ Wie wird der deutsche Wein 1992? Ordentlich!: Das Öchsle als Maß aller Dinge
Weinberge (taz) – Die württembergischen Winzergenossenschaften jubeln: „Weinherbst 1992 – Ein segensreiches Jahr.“ In der PR-Postille 's Weinblättle wird als Grund genannt: „Keine Fröste, eine frühe Blüte, Niederschläge zur richtigen Zeit und ein Bilderbuchsommer.“ Das kann natürlich nicht einfach so akzeptiert werden, weshalb wir einmal eigenhändig die Öchsle nachmessen, mit dem Ergebnis: na ja, na ja!?
Nun darf man sich das mit den Öchsle nicht etwa so vorstellen, daß hier einem schwäbischen, kastrierten Kleinbullen mit dem Meterstab zu Leibe gerückt wird. Nein, Öchsle ist die Maßeinheit für den Fruchtzucker im Most, und funktionieren tut das (nicht nur) so: Wir füllen frisch gepreßten Traubensaft in ein Reagenzglas, lassen eine Art großes Fieberthermometer hineingleiten und lesen auf einer Skala ab – je höher desto besser. Zucker nämlich wird beim Vergären zu Alkohol, und der trägt die Aromastoffe des Weins. (Jedes Grad ist Geld: Wenn bei einer Traubensorte als Durchschnittsgewicht 80 Öchsle vorgegeben sind, zahlt die Genossenschaft einem Winzer, der Trauben mit 70 anliefert, nur den halben Preis.)
Was also die Öchsle angeht, so gibt es beim Württemberger bislang keinen Grund zu übermäßiger Euphorie. Die Qualität des großen Jahrgangs 1990 jedenfalls wurde bisher nicht erreicht, und die Hälfte der Ernte ist vorüber. An Menge indes gibt es mehr als genug (siehe auch Seite 7) – Schwarzriesling und frühe Burgunderarten sind üppig gewachsen. Nur die schwäbische Spezialität, der Trollinger, hängt ziemlich unreif am Rebstock.
Das mag nach den vielen Sonnentagen dieses Sommers verwundern, aber warum sollte sich der Wein anders verhalten als der Mensch: Wenn's allzu heiß wird, hat er keinen Bock mehr und stellt jede Tätigkeit ein. Auch von einigen Weißweinen berichten Winzer Schlechtes: Durch die Hitze sei viel Säure veratmet. Resultat: eine „Läbberlesbrieh“ (hochdeutsch: schlappe Brühe), von der ein Kellermeister ungehalten sagt, man könne sich damit nur „d' Füß waschen“. Was aber die wenigen Öchsle beim Trollinger angeht, so freut sich darüber wenigstens die Firma Südzucker. Deren Laster werden manche Tonne zu den Württemberger Wengertern und Genossenschaften karren, um dem sauren Most ordentlich auf die (Alkohol-)Sprünge zu helfen.
Und wie sieht es in den anderen Anbaugebieten aus? Das Deutsche Weininstitut in Mainz verheißt allgemein „überdurchschnittliche Qualität und Quantität“, von der Güte etwa zwischen dem 90er und 91er, und mengenmäßig werden 1.300 Millionen Liter erwartet, immerhin 16 Liter auf jede deutsche Leber im Schnitt.
Dem Alphabet nach: An der Ahr liegen die Mostgewichte deutlich über dem Vorjahr, gutes wird von Riesling und Spätburgunder erwartet. Baden dürfte die Ausnahme überhaupt sein: hier wird der 90er oft übertroffen, die Lese ist weitgehend zu Ende. Auch in Franken könnte der hervorragende 90er qualitativ erreicht werden. Mosel-Saar-Ruwer meldet guten Entwicklungsstand des Rieslings, die Mostgewichte lagen bereits am letzten Wochenende sieben Grad höher als im Vorjahr.
Nahe: sehr unterschiedlich nach Rebsorte. Rheinpfalz: okay, Ernte fortgeschritten. Saale/Unstrut und Sachsen: Menge zufriedenstellend, und über die Öchsle decken wir den Mantel des Schweigens. Um Dresden und Sachsen gelten sowieso andere Regeln, denn hier gibt es keine Absatzsorgen – die einzige Branche in den neuen Ländern vermutlich, für die der Begriff „Aufschwung Ost“ nicht wie Verhöhnung klingen muß. Herr Thömmes
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