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■ Neu: Menschenrechtsbelehrung im Kinderzimmer. Nur:Wie sag' ich's meinem Kinde?

Eigentlich wollte ich nur Fußballberichten lauschen, als mich der Kinderschutzbund im Hessischen Rundfunk kürzlich auf dem falschen Fuß erwischte. Wer Kinder über ihre Rechte aufkläre, hieß es, würde sie so besser vor perversen Erwachsenen jeglicher Art schützen. Eltern sollten deshalb die Bestimmungen der UN-Kinderschutzkonvention im Kinderzimmer zum Thema machen.

Ich hatte mich bisher tapfer geschlagen. Und doch: Was die Bilder der ausgegrabenen Kinderknochen aus Belgien nicht schafften, der kurze Appell einer Frankfurter Rechtsanwältin hatte es erreicht. Auch ich einer von denen, die kindliche Grundrechte mißachten! Auch ich also auf dem ideologischen Breitengrad grausamer Kinderschänder!

Ich war reif für den Anruf beim Kinderschutzbund. Die moderne Inquisition nahm ihren Lauf. Was, mein Sohn sei schon vier, und ich wisse nicht, daß man seine Kinder schon ab zwei Jahren über Religions-, Meinungs- und Bewegungsfreiheit und den Schutz vor Gewalt aufklären könne?! Man schickte mir die 24 Artikel der UN-Konvention trotzdem zu. Mit dem Hinweis, ja nicht den Weltkindertag am 20. September zu vergessen. Und die Drohung, daß etwaige Auszugswünsche meines Sohnes durchaus ernst zu nehmen seien, klingt mir heute noch im Ohr.

Das Paragraphendeutsch gab allerdings nichts für ein aufklärendes Gespräch zwischen Vater und Sohn her. Wilde Tiere und arbeitende Kinder in Asien-Bildbänden wurden pädagogisch geschickt, aber zwecklos ins Spiel gebracht. Die „Sesamstraße“ durchforstet. Nix. Einmal brachte ich sogar die Absichtserklärungen „Die Vertragsstaaten verpflichten sich..., das Kind vor jeder Form körperlicher Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Mißhandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich sexuellen Mißbrauchs zu schützen...“ mit und stammelte etwas von guten Menschen, die sich um Kinder kümmern, wenn es denen schlecht geht. „Ärzte?“ war die Frage. „Ja. Die auch. Aber auch andere. Die gucken, daß den Kindern keiner weh tut.“ Er sah mich etwas verwirrt an. „Aber ich muß doch dem Moritz eine hauen, wenn der mich ärgert.“ Genau.

So ging es nicht weiter. In der Anwendung direkter körperlicher Gewalt waren wir uns zu einig. Zunehmend begeistert las ich Meldungen von marodierenden Jugendgangs und Crash-Kids. Diese Generation würde es den Kinderschändern schon besorgen. Doch noch ist der Junge zu schwach.

„Wer will eigentlich, daß du Dinge machst, die du nicht willst?“ versuchte ich es vorsichtig morgens beim Müsli. Er dachte nicht lange nach. „Die Oma, die meckert beim Essen immer. Und die Heidi, die immer sagt, wir sind zu laut.“ Die Schwiegermutter und die Kindergartenerzieherin also! Bauen womöglich noch Kameras auf, wenn sie Kinder zu obskuren Tischsitten zwingen und ihnen über den Mund fahren! „Aber mach' ich nicht“, ergänzte er trocken.

Doch als der Junge sich jetzt eine Legokamera baute und seine Freundinnen mit lautem „Klick, klick“ zum koketten Posieren brachte, wurde mir doch etwas mulmig. Was hat Dutroux eigentlich so gemacht, als er vier war? Jörg Ihssen

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