„Wie im früheren Ostblock“

■ Reaktionen auf Vorzensur bei den ARD-Tagesthemen

Berlin (taz) – Die Einführung einer Vorzensur für Kommentare bei den ARD-Tagesthemen ist bei den Journalistengewerkschaften IG Medien und dem deutschen Journalistenverband (DJV) auf Befremden gestoßen. Dieter Brumm, Medienreferent der IG Medien, bezeichnete den Schritt als „groteske Geschichte“. Es könne nicht angehen, daß bei der freien Meinungsäußerung innerhalb der ARD nun noch stärker „gefiltert“ werde; die Zahl derjenigen, die in den Tagesthemen kommentieren dürften, sei ohnehin klein. Ulrike Kaiser vom DJV meinte, daß „die Meinung in der Kompetenz der Chefredakteure verbleiben“ solle.

Wie die taz gestern berichtete, wird ARD-Politikkoordinator Hartmann von der Tann künftig ein Vetorecht bei der Auswahl der Kommentatoren haben. Hintergrund sind die sehr deutlichen Kommentare der Tagesthemen zu den rassistischen Morden von Solingen. Insbesondere die Kommentare von Klaus Bednarz (WDR), Fritz Pleitgen (WDR) und Georg M. Hafner (HR) waren in die Kritik geraten. Bislang entschieden die Chefredakteure der ARD-Anstalten allein, wer den Tagesthemen-Kommentar spricht. Das Vetorecht des Politikkoordinators erlaubt nun den Eingriff der Fernsehdirektoren in redaktionelle Angelegenheiten.

Klaus Bednarz meinte gegenüber der taz: „Ich kann es einfach nicht glauben, so etwas kenne ich bislang nur aus den früheren Ostblockstaaten.“ Kommentator Georg M. Hafner bezeichnete die Maßnahme als „absurdes Unterfangen“, das die Chefredakteure, „elf erwachsene Frauen und Männer, entmündigt“. Die ARD-Chefredakteure hingegen beschlossen gestern, sich „extern“ nicht zu der Vorzensur zu äußern. kotte

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