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Wie fühlen Sie sich?

Erfolg des Kreuzdurchschnittlichen: Mit der Dreipunkteregel kamen der Bundesliga erst Tabellenniemandsland, dann der Fußball selbst abhanden. Ein Rückblick auf die Untiefen einer Saison der Entnervten  ■ Von Christoph Biermann

Wahrscheinlich wird es noch einige Tage dauern, bis in Dortmund die letzte Runde Bier auf die Titelverteidigung der Borussia getrunken ist. Die Bayern haben morgen zu Bordeaux im UEFA-Cup-Finale die Chance, auch ihr letztes Saisonziel zu verpassen, während in Frankfurt die letzten Tränen sicherlich noch nicht getrocknet sind.

Alles ganz schön bunt hier, könnte man meinen. Jedenfalls solange man sich das ganze Spektakel nur im Fernsehen anschaut oder in den Zeitungen nachverfolgt. Dort erwächst nämlich aus solch übersichtlichem Geschehen eine Wunderwelt enthemmter Personalien. Beckenbauer gegen Rehhagel und Matthäus gegen Vogts. Und Lolita! Ist Möller zu weich, Sammer zu hart und Basler einfach durchgeknallt? Beginnt mit Uwe Seeler ein neues Zeitalter, und was treibt eigentlich Yordan Letchkow um? Ein Panorama von Krächen und Zerwürfnissen, Aussöhnungen, Kameradschaft und tiefer Harmonie entrollt sich vor uns. Triumphale Niederlagen folgen auf dramatische Niederlagen, das Leben in der Bundesliga ist eine Achterbahn der Gefühle.

„Wie fühlen Sie sich?“ war die Frage des Jahres. Prompt war kein quersitzender Furz klein genug, daß er sich nicht noch zu einer großen Schlagzeile aufgebläht hätte. Hurra, hurra, alles ist super, alles ist wunderbar!

Es sei denn, man hat sich die Mühe gemacht und ist ins Stadion gegangen. Denn da mußten – o Schreck! – leider immer noch 90 Minuten Fußball fabriziert werden. Auf dem Rasen, in kurzen Hosen, mit dem Ball. Und das erwies sich als eine Aufgabe, der die Protagonisten mit einer gewissen Hilflosigkeit gegenübertraten. Gefällige Aktionen, schönes Spiel, Zaubereien am Ball oder andere Elemente von so etwas, das man guten Fußball hätte nennen können, verloren sich zwischen den Grashalmen. Kaum jemand – außer dem unaufhörlich klagenden Bundestrainer Vogts – hat das angemerkt.

Woran die Einführung der Dreipunkteregel schuld ist, denn umstandslos wurde Schönheit durch Spannung ersetzt. Zwar verpaßte die Höherbewertung eines Siegers ihr primäres Ziel völlig, die Zahl der erzielten Treffer zu erhöhen, aber unversehens war das Niemandsland in der Tabelle abgeschafft. Keine Mannschaft ruhte gemächlich auf einem Mittelfeldplatz, alle waren Abstiegskandidaten oder mögliche Teilnehmer am UEFA-Cup. Manches Team wechselte sogar von Woche zu Woche zwischen den Lagern hin und her.

Wenn Dortmunds Präsident Dr. Gerd Niebaum im Moment des Jubels die insgesamt blasse Leistung seiner Mannschaft eingestand und von einer „Meisterschaft der Nerven sprach, so galt das nicht nur im Kampf um den Titel.

Auch wenn es genauer besehen eher eine Saison der Entnervten war. Wer im Wochentakt in immer neue Entscheidungsspiele geschickt wird, braucht eine robuste psychische Konstitution. Da helfen auf die Dauer keine Fußballzauberer in roten Schuhen, wie sie der VfB Stuttgart mitunter hinreißend, aber schlußendlich nutzlos in die Arena schickte, sondern „eine Mannschaft mit Charakter“, wie Dortmunds Matthias Sammer sein Team lobte. Deshalb kamen auch die braven Kanalarbeiter des FC Schalke04 zur ersten Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb nach neunzehn Jahren. „Harmonie und Kameradschaft“ gab Trainer Jörg Berger als Erklärung für diesen Erfolg an, sein Kapitän Olaf Thon wollte ähnliches bemerkt haben. Und das ist in diesem Fall durchaus nicht als Phrase zu verstehen. So war es wirklich, auch wenn sich darüber wohl nur jemand freuen kann, der schon mal mit dem Gedanken gespielt hat, sich königsblaue Bettwäsche zu kaufen.

Der überraschende Erfolg der kreuzdurchschnittlichen Schalker beweist nämlich nachdrücklicher noch als die Schwäche der Dortmunder und der Wahn in München, wie schwach diese Spielzeit war. Selbst wenn man nicht so weit geht, wie ein Spötter, der nach dem Sieg gegen Bayern München am Samstag meinte: „In Liechtenstein knallen schon die Sektkorken, endlich ist mal ein leichter Gegner im UEFA-Cup dabei.“

Gegenüber der Dominanz deutscher Tugenden taten sich die wenigen Visionäre und Modernisierer des Spiels schwer. Am besten schnitt noch Frank Pagelsdorf ab, auch wenn seine mit intelligentem Fußball herausgespielten Erfolge fast etwas untergingen. Und das lag nicht nur am für die Jubelkarawane zu langen Weg bis Rostock. Sein mannschaftszentriertes Spiel, in dem jeder einzelne Spieler immer mehrere Aufgaben erfüllen muß, produziert keine greifbaren Stars. Woran also sollte sich da ein längst auf den psychologisierenden Blick konditioniertes Publikum orientieren? Wer sind die Hansa- Helden?

„Konzeptfußball und Heroenfußball“ unterschied Freiburgs Trainer Volker Finke vor einigen Wochen die beiden Grundmodelle in der Bundesliga: „Ich stelle die Fußballer auf, die am besten zusammenspielen. Das müssen aber nicht die besten elf Fußballer aus meinem Kader sein. Die andere Philosophie ist – stark vereinfacht: Ich hole die fünfzehn besten Fußballer Deutschlands zusammen und stecke sie in ein halbwegs nachvollziehbares System.“

Daß der „Konzeptfußball“ des Volker Finke vielleicht auch aus der Not geboren ist, nicht über einen unerschöpflichen Etat zu verfügen, heißt aber nicht, daß es ein Modell der Armut ist. Der AC Mailand und vor allem Ajax Amsterdam beweisen nachdrücklich das Gegenteil, bei dem die Austauschbarkeit des einzelnen Spielers auf höchstem Niveau demonstriert wird.

Aber vielleicht ist eben das gar nicht gewünscht, weil solch ein kollektives Konzept von Fußball dem Stand einer Gesellschaft widerspricht, die sogar das Problem der Arbeitslosigkeit individualisiert hat.

Vielleicht will das Publikum, das vom Bundesliga-Boom der letzten Jahre in die Stadien gelockt worden ist, auch schlicht wiedererkennbare Stars. Womit das Arbeitsfeld der Talentscouts bald von Casting-Agenturen überwacht werden könnte.

Mit deren Hilfe wäre dann in der nächsten Saison im Westfalenstadion „Die Hard III“ zu inszenieren, mit fetten Superstars und viel Kohle für Knalleffekte. Wie wir wissen, kann das eine Menge Spaß machen. Allerdings sollten sie dann weder in Dortmund noch anderswo vergessen, daß vor der Frage „Wie fühlen Sie sich?“ die Action auf dem Spielfeld stattfinden muß.

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