piwik no script img

„Wie findsten det, det ick hier filme?“

■ Eine Langzeitbeobachung mit klinisch-ethnographischem Gestus: Der Dokumentarfilm „Drehbuch: Die Zeiten“ von Barbara und Winfried Junge im Forum

Das hebt groß an: Ein Feuerwerk in Hamburg, Tag der Deutschen Einheit, und da stehen vier im Vordergrund, die weist eine Stimme aus dem Off als Dieter, Elke, Brigitte und Bernhard aus, und die tragen stone-washed Jeans und lächeln glücklich.

„Dieser Film wird einen Kommentar haben. Ich weiß, das wird ihn Sympathien kosten“, kündigt der Regisseur mächtig-bescheiden an. Allerdings.

Der über vierstündige Film „Drehbuch: Die Zeiten“ hat eine Gruppe ehemaliger DDR-Bürger des Dorfes Golzow im Oderbruch von ihrer Einschulung 1961, wenige Tage nach dem Bau der Mauer, bis nach der Wende beobachtet.

Das Wort „Langzeitbeobachtung“ enthüllt schon ein bißchen den klinisch-ethnographischen Gestus, mit dem sich der Filmemacher (von Frau Barbara Junge ist eigentlich weder in Wort noch Bild die Rede) seinen Protagonisten nähert.

Wann immer er mit ihnen spricht, verfällt er in dieses plump- vertrauliche Bettina-Wegener- Berlinerisch, mit dem sich Akademiker in der DDR häufig zu den Arbeitern und Bauern gesellen wollten: „Du, wie findsten det, det ick jetz' hier filme? “ „Du, wie findsten det, det du jetz' mit die janze Arbeit jar keene Zeit mehr hast für de Familie un so? Maln Stündchen inne Sonne sitzen un so?“ Hätte er bloß mal den Mund gehalten und zugehört und hingesehen, statt sich ständig um Pseudo-Selbstreflexivität zu bemühen („Dies ist ein Film über einen Film“).

Wenn es einem gelingt, sich von Junges penetranter Pädagogik zu befreien, kann man in diesem Film nämlich einiges sehen. Denn hier ist „Heimat“ keine nachträglich konstruierte Chronik, sondern ein „work in progress“, wo man wirklich den ehemaligen Melker Jochen (warum zum Teufel hat in diesem Film niemand einen Nachnamen?) als Siebenjährigen sieht, wie er tief gekränkt eine Fünf entgegennimmt; Jochen, der jetzt arbeitslos ist.

Deutsche Biographien: Elke war Bauzeichnerin im VEB Spezialbau Potsdam, nach einer Umschulung arbeitet sie jetzt in der Gebäudesanierung. Die meisten Männer sind arbeitslos. Man hätte der Frage nachgehen können, was gemeint ist, wenn sie vom „Recht auf Wahlverdrossenheit“ sprechen. Man hätte auch einfach mal beobachten können, wie sich die Häuser, die Straßenschilder, die Inneneinrichtungen verändert haben. Wo immer Junge einen flüchtigen Blick auf diese Phänomene wirft, lautet die geheime Botschaft, daß die Menschen in der DDR der Natur näher waren, daß es eine solidarischere, liebevollere Gesellschaft war. Das ist dieselbe Ethno- Romantik, wie sie von Einigen auf afrikanische Gesellschaften projiziert wird, diesmal eben von einem aus den eigenen Reihen, der sich wie Biermann geriert, und der sich von seinen Protagonisten sagen läßt „Dir glauben wir, Winfried, Du warst immer ehrlich zu uns“.

Was die Aufnahme dieses Schulstücks ins Programm des Forums einzig rechtfertigt, ist die Tatsache, daß es dokumentiert, was in verschiedenen Epochen der deutschen Nachkriegsgeschichte unter „Dokumentation“ verstanden wurde.

Die Entwicklung Junges vom Assistenten 1961, der nach ausdrucksvollen Unicef-Kindergesichtern sucht und die Antikriegspädagogik 1:1 abbildet, bis hin zum von Volker Braun inspirierten Stark-Deutsch-Gestammel der frühen 90er mit dem Anspruch, Geschichte von unten, oral history zu schreiben, ist augenfällig. Das – allenfalls – macht „Drehbuch: Die Zeiten“ sehenswert. Mariam Niroumand

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen