■ Wie erklärt die Nato den Angriff auf das Belgrader Fernsehen?: Bei Opfern gibt es keinen Unterschied
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß es keinen humanitären Krieg gibt – der Nato-Angriff auf das Funkhaus des jugoslawischen Fernsehens hätte ihn erbracht. Dieses Mal kann die Allianz nicht erklären, ein bedauerliches Versehen habe den Tod von Zivilisten herbeigeführt. Es war bekannt, daß sich in dem Gebäude zum Zeitpunkt der Bombardierung Menschen aufhielten.
Na und? Waren die Opfer nicht Helfershelfer des verbrecherischen Regimes von Präsident Miloevic? Ist uns allen nicht seit langem bekannt, welch fürchterliche Wirkung Propaganda entfalten kann, wenn es gilt, eine Pogromstimmung zu schüren? Doch. Aber gerade wer für sich in Anspruch nimmt, im Namen der Menschenrechte zu handeln, darf die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht aus den Augen verlieren. Die Techniker und Sekretärinnen des serbischen Fernsehens brauchen nach Kriegsende keine Anklage vor einem internationalen Gericht zu fürchten, und es ist fraglich, ob Journalisten Grund dazu haben.
In Ruanda haben 1994 Verantwortliche für den Völkermord über Monate hinweg im Radiosender „Milles Collines“ offen zur Ermordung von Angehörigen der Tutsi-Minderheit aufgerufen. Vor dem UN-Tribunal sind deshalb mehrere Mitarbeiter des Senders angeklagt worden. Verurteilt wurde bis heute kein einziger von ihnen. Individuelle Schuld mit rechtsstaatlichen Mitteln nachzuweisen, das braucht Zeit.
US-Präsident Clinton hat den Angriff auf das Funkhaus in Belgrad damit begründet, daß Miloevic den Sender nicht dazu benutze, um die im Kosovo begangenen Verbrechen zu zeigen. Wenn ein solcher Vorwurf eine Bombardierung rechtfertigt, dann müßten zahlreiche Sender in Diktaturen dieser Welt in Bunker umziehen. Und nicht nur dort. Wäre hingegen im serbischen Fernsehen offen zum Völkermord aufgerufen worden – ist es vorstellbar, daß diese Information dem Rest Europas bisher vorenthalten wurde? Uns wird in diesen Tagen ein hohes Maß an Gutgläubigkeit abverlangt.
Niemand sage, daß im Krieg eben andere Maßstäbe gelten. Die Regierungen der Nato-Länder behaupten, keinen Angriffskrieg gegen Jugoslawien zu führen. Dann dürfen sie sich auch nicht auf die Gepflogenheiten eines solchen Krieges berufen. Den Toten des Angriffs auf das bombardierte Funkhaus in Belgrad gebührt dasselbe Entsetzen, dieselbe Empörung und dieselbe Trauer wie den Toten im Kosovo. Es gehört zu den humanistischen Prinzipien, zwischen Opfern nicht zu unterscheiden. Bettina Gaus
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