Wie ein Molekül unsere Gefühle steuert: Chemie der Angst
Forscher haben ein Molekül entdeckt, das sich auf das Erlernen von Angst auswirkt. Die Hoffnung ist, damit eines Tages Phobien zu heilen.
Manchmal reicht der Bruchteil einer Sekunde. Wenn etwa ein vierjähriger Junge den Kochtopf mit heißem Wasser vom Herd stößt, versetzt er nicht nur seine Familie in Aufregung, sondern auch sein Gehirn. In einem kleinen Bereich des Gehirns, der sich Mandelkern nennt, setzen sich Moleküle und Rezeptoren in Bewegung und verbinden das heiße Wasser, den Schmerz und – wichtig für die Zukunft – auch ein gewisses Maß an Furcht.
Doch nicht immer läuft es so ab. Es gibt Menschen, deren Gehirn heißes Wasser und Schmerz nicht mit Furcht verbinden würden und andere, die nach so einem Ereignis panisch vor jedem Topf flüchten.
Ähnlich unterschiedlich reagieren Mensch etwa auf den Zahnarzt oder auf Spritzen. Warum das so ist – dem sind Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie und Psychiatrie und des Klinikums Großhadern nun einen Schritt näher gekommen.
In Versuchen mit Mäusen haben die Forscher einen Rezeptor mit dem Namen "Eph" untersucht. Dabei haben sie festgestellt, dass die Rezeptoren verstärkt von der Oberfläche der Nervenzellen transportiert werden, je mehr von einem bisher unbekannten Molekül vorhanden ist. "Rin1" nannten sie es. Und es könnte einer der Schlüssel zur Steuerung von Angst sein.
Denn das Rin1 steuert den Transport der Eph-Rezeptoren von der Oberfläche der Nervenzellen in die Zelle hinein. Für die Rezeptoren gilt aber: Je mehr davon in die Zelle transportiert werden, desto weniger Angst wird ausgelöst.
Hat eine der Mäuse also so viel Rin1, das alle Rezeptoren in die Zelle transportiert werden, kennt sie keine Angst. Das ist nicht immer nützlich, zum Beispiel, wenn die Maus eigentlich lernen könnte, sich vor elektrischen Schlägen zu schützen.
Die Forscher haben Hoffnung, dass sich die Erkenntnisse auch auf Menschen anwenden lassen. „In 15 bis 30 Jahren wäre dann eine Therapie denkbar“, sagt Stefanie Merker vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie. Doch zunächst müssten andere Forschergruppen die neuen Erkenntnisse übernehmen. Und von Mäusen und elektrischer Spannung auf Menschen in klinischen Studien übertragen. Heißes Wasser wird dabei wohl nicht zum Einsatz kommen.
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