■ Wie die anderen feiern: Wir warten auf den Erlöser
Unser Herr Jesus kam gewissermaßen vom Lande. Im Stall geboren, sag' ich nur. Folgerichtig feiert man Christi Geburt in Gegenden mit vielen Ställen besonders heftig. Obwohl Jesus eindeutig männlichen Geschlechts war, bleibt dabei aber alles wieder irgendwie an den Frauen hängen. Die Männer machen nämlich bloß die Glühweinstände.
Begleiten wir die Landfrau und einige ihrer Freundinnen durch eine beliebige Woche im Advent: Maria, Petra und Susanne treffen sich Montag nachmittags zur Bastelgruppe. Sie produzieren Strohsterne für den Kindergarten und Fensterbilder für den Weihnachtsmarkt. Die Männer (Glühwein) treffen sich abends im Stall zur Standortvorbereitung. Jedenfalls riechen sie hinterher so. Am Dienstag geht Susanne zu Bauer Lindworth. Kargwort könnte er auch heißen, denn er fragt wie jedes Jahr nur: „Welche?“ „Die da hinten, die guckt so frech und hätte mich neulich beinahe gebissen“, lüge ich, denn ich wähle natürlich die properste Gans aus. Lindworth wird später eine andere, dürre, zähe für mich schlachten, die beim Braten anfängt, nach Fisch zu riechen.
Abends ist Weihnachtssingen. Zehn Frauen grölen Dinge, die nicht für ihren Geisteszustand sprechen. „Weihnachtszeit, Weihnachtszeit – die Herzen schwappen über, denn bald iiiist es soweit“ quälen wir alles heraus, was es an Tönen so gibt. Dann kommt noch ein selbstgetextetes Lied, das davon handelt, daß man vor Weihnachten erst mal seine Fenster anständig putzt, damit das Christkind auch in alle Wohnungen gucken kann. Die Männer experimentieren inzwischen mit neuen Glühweinrezepten.
Der Mittwoch und der Donnerstag vergehen mit dem Einkochen von Marmelade aus albernen Tropenfrüchten (Weihnachtsmarkt!!) und dem Herstellen von Engelsflügeln (Nachbarkind, Schulaufführung). Die Männer bauen den Glühweinstand zusammen (Weihnachtsmarkt!!!).
Freitags verbreche ich Adventsgestecke. Petra setzt immer Wichtel auf ihre, ich schaffe nicht mal Schleifen. Jeden Freitag abend sind seit Oktober Weihnachtsfeiern verschiedener Sparten des Sportvereins und des Chors, des Landfrauenverbands, der freiwilligen Seniorenbetreuung, des Schützenvereins, des Schwimmbad-Fördervereins und des Wir-unterstützen-Nachbarskinder-mit-Engelsflügeln-Vereins angesetzt. Leider gibt es in unserem Dorf nur „Gerdi's Sportplatzheim“ (Geschnetzeltes in Sahnesoße) und den „Olymp“ (Gyros).
Am Sonnabend „wichteln“ wir bei mir zu Hause. Ich bekomme ein Adventsgesteck mit Wichtel drauf, das ich meiner zickigen Tante geben werde, und Petra kriegt ein schlampig ausgeschnittenes Fensterbild. Wir können uns unmöglich denken, von wem diese Julklapp-Gaben kommen, zumal Maria betreten ihren eigenen Topflappen in der Hand schwenkt. Alle Nachbarinnen kommen wie zufällig vorbei, um zu kontrollieren, ob wir auch unsere Kekse ordentlich gebacken haben und die Fenster sauber geputzt. Wir verschwinden in den Stall und helfen den Männern beim Glühweinstandaufbau.
Sonntag ist Weihnachtsmarkt!!! Vor dem alten Gutshaus blasen Kinder mit Engelsflügeln falsch auf ihren Blockflöten herum, während entsetzliche Machwerke aus dörflichen Haushalten den Besitzer wechseln, um bald darauf an schreckliche Leute verschenkt zu werden. Am Glühweinstand schwappen die Herzen über bis in „Gerdi's Sportplatzheim“, wo zu später Stunde auf dem Billardtisch mehrere potentielle Erlöser gezeugt werden. Da helfen dann die Männer schon mal mit. Susanne Fischer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen