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■ Wie die Telekom Lebenssinn vermitteltFrau Obermanns Botschaften

„Wenn ich Sie sehe“, sagt Frau Obermann, „denke ich sofort: 22 Mark 11.“ Dabei sehe ich gar nicht aus wie 22 Mark 11. Nicht mal wie 34 Mark 78. Sondern eher wie ein verzweifelter Kunde der Telekom. Und weil das so ist, haben Frau Obermann und ich seit Anfang des Jahres im Telekomladen in der Lloydpassage gemeinsame Sitzungen. Regelmäßig einmal im Monat. Ich komme immer zu ihr und sage: „Guten Tag, liebe Frau Obermann!“ Und sie antwortet seit einiger Zeit, abweichend von unserem ersten Zusammentreffen: „Wenn ich Sie sehe, denke ich sofort: 22 Mark 11.“

Diese Summe nämlich möchte die Telekom von mir auf ihr Konto überwiesen haben. Niemand weiß warum: Ich nicht, Frau Obermann nicht, die zentrale Verwaltungsstelle der Telekom auch nicht. Also zerreißt Frau Obermann jedesmal die Mahnungen, die ich aus meinem heimischen Briefkasten ziehe, wirft sie in den Müll und sagt mit freundlichem Gesicht: „Ich hoffe, wir sehen uns nicht mehr wieder.“ Aber wir sehen uns wieder. Einmal im Monat.

Mittlerweile ist mir Frau Obermann richtig ans Herz gewachsen. Ich erzähle ihr nun immer von meinen Prostatabeschwerden, wie ich letztens noch in ein Hundehaufenkunstwerk des Pusdorfer Künstlers Joachim Fischer getreten bin und daß das Leben überhaupt, wenn man mich fragt, ein irrsinnig wahnsinnig witziges Ding ist. Erstunkene und erlogene Geschichten, wie man sie so von sich gibt, wenn man am Schalter steht und ein Mensch für drei Sekunden seine gesammelte Aufmerksamkeit auf einen richtet.

Frau Obermann blinzelt mich dann immer aus ihren freundlichen großen Augen an, denkt vermutlich, ich sei ein kompletter Vollidiot und versucht derweil, die Person am anderen Ende der Leitung von der Sinnlosigkeit zu überzeugen, mir Rechnungen über 22 Mark 11 zuzusenden. Einst ward mir so als habe Frau Obermann direkt mit ihrem obersten Chef Ron Sommer telefoniert. Und ich bildete mir ein, ihn sagen zu hören: „Well, erlaßt diesem erbarmungswürdigen guy the fucking Rechnung, because sonst we werden niemals ein good organisiertes Enterprise mit World-ruhm wördn“. Aber ein Blick in meinen Briefkasten nur wenige Wochen später – eine Zahlungserinnerung für den Kunden – ließ Zweifel in mir ersprießen: Ob ich damals nicht doch, am Tresen mit Frau Obermann, versunken in ihren großen Augen die Welt, wie sie ist, mit der, wie sie sein sollte, verwechselt habe.

In dieser Woche nun kappte Frau Obermann rigoros die zarten Bande, die sich zwischen uns entwickelt hatten. „Die Sache ist erledigt. Endgültig“, schlug sie verbal auf meine unvorbereitete Seele ein. „Auf Wiedersehen, Frau Obermann“, schluchzte ich. Anderseits: Sie hat diesen unsensiblen Satz schon so oft zu mir gesagt. Und mir dann doch jeden Monat anonyme Briefe geschrieben, in denen sie mich per verschlüsselter Botschaft „Überweisen Sie 22 Mark 11“ gebeten hat, mal wieder bei ihr vorbeizuschauen. Frau Obermann, lassen Sie mich einsames Erdenkind nicht hängen! zott

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