Wie der Staat zum Impfstoff kommt: "Markt funktioniert hier nicht"
Johannes Löwer, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel, über Lehren, die aus der Schweinegrippeimpfung zu ziehen sind, und das, was man dringend ändern muss.
taz: Herr Löwer, was kann der Staat aus der Schweinegrippe lernen?
Johannes Löwer: Ich glaube, wir haben ein grundsätzliches Problem. Wir haben hier in der Bundesrepublik die Impfung nach den Regeln der Marktwirtschaft organisiert: Wir lassen zwar einen Impfstoff zu und geben eine Empfehlung, aber der Rest ist dem freien Markt überlassen. Die Firma bringt den Impfstoff auf den Markt, muss dafür werben, und dann wird der Impfstoff benutzt. In anderen Ländern ist das Impfgeschäft anders organisiert.
Da wird der Impfstoff staatlich besorgt. Das marktwirtschaftliche Modell hat in der Pandemie nicht funktioniert, und es funktioniert im Pandemiefall grundsätzlich nicht. Für die Firmen besteht im Pandemiefall keine Notwendigkeit, selbst Produkte auf den Markt zu bringen, weil es weltweit genug Staaten gibt, die die Impfstoffe kaufen wollen. Wir haben dann keinen Anbietermarkt, auf dem man sagen kann: Ich kaufe dieses oder ich kaufe jenes.
JOHANNES LÖWER, geb. 1944, ist medizinischer Virologe und Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel. Zuvor war er Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts.
Hatte man als Großabnehmer nicht trotzdem eine starke Verhandlungsposition gegenüber den Pharmaunternehmen?
Das Problem sind die Kapazitäten. De facto sind alle Möglichkeiten, die die Firmen haben, so einen Impfstoff zu produzieren, seit 2006, 2007 verkauft. Damals, nach der Vogelgrippe, haben die Staaten Verträge über Pandemieimpfstoffe gemacht. Deutschland hat Verträge über 160 Millionen Impfungen - weil wir 80 Millionen Bürger haben: Man dachte, jeder müsse zweimal geimpft werden. Tatsächlich gekauft wurden jetzt 50 Millionen. Es ist ja nicht so, dass das Produkt auf der Straße liegt.
Das war seit Jahren bekannt.
Ja. Die historische Entwicklung war ja auch, dass man sich bei der Weltgesundheitsorganisation in Zusammenhang mit der Vogelgrippe die Frage gestellt hat: Wie kann man im Fall einer Pandemie reagieren, in einer Situation, in der schnell viel Impfstoff da sein muss? Und auf WHO-Ebene ist dann gesagt worden, das geht nur, wenn wir auch die saisonale Grippeimpfung fördern. Weil das bedeutet, dass es sich für die Firmen überhaupt wirtschaftlich lohnt.
Niemand baut eine große Fabrik auf und dreht dann dreißig Jahre Däumchen und wartet, bis die Pandemie kommt. Sie müssen das im Betrieb halten. Der Vorschlag der WHO - der in der Bundesrepublik auch nicht viel gewirkt hat, muss man sagen -, war, in den vorgegebenen Risikogruppen eine höhere Rate von Impfungen gegen saisonale Grippe zu erreichen und die Firmen aufzufordern, sich auf eine Pandemie vorzubereiten.
Das heißt, man fordert Menschen auf, sich gegen Grippe impfen zu lassen, damit es bei einer Pandemie genügend Impfstofffabriken gibt?
Ja, um einen Beitrag zu liefern, dass die Kapazitäten vorhanden sind. Deutschland hat die saisonale Grippeimpfung auch gefördert, um den Pandemiefall vorzubereiten.
Sie sagen, das marktwirtschaftliche Modell funktioniert bei einer Pandemie nicht. Können Sie sich ein Modell vorstellen, das funktionieren würde?
Die Alternative ist die staatliche Beschaffung von Impfstoffen, wie das zum Beispiel Großbritannien macht. Dort gibt es eine Einheit im Ministerium, die fast alle Impfstoffe einkauft. Da kann man natürlich auch durch Ausschreibungen die Konkurrenz der Firmen ausnutzen und einen ganz anderen Preis aushandeln als bei uns.
Weil die Firma frühzeitig weiß, sie kann so und so viele Millionen absetzen. Eine staatliche Beschaffung macht auch die Verfügbarkeit bei Ausbrüchen einfacher. Als vor einiger Zeit Masern in Nordrhein-Westfalen ausbrachen, war nicht genug Impfstoff da, weil die Firmen nicht lieferfähig waren und nichts gelagert war.
Was müsste also getan werden?
Für Fälle wie Pandemien wäre es schon gut, wenn die Entscheidung zum Bund gehen würde. Das würde auch die Kommunikation besser machen.
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