Wie der Punk nach Hannover kam (V): Bloß weg nach Berlin!
Ist die Verwendung von Hakenkreuzen Punk oder bloß dämlich? Unser Autor hat eine unangenehme Begegnung mit Schlägertypen, die er von früher kennt.
Was bisher geschah: Die Szene differenziert sich stylemäßig aus. Unser Held bevorzugt ein besonders hartes, kaputtes Outfit, den Begriff „prätentiöse Verwahrlosung“ kennt er noch nicht.
Es ist jedoch nicht immer Fun and Games, unübersehbar und in provokatorischer Absicht den Außenseiter zu geben, und Toleranz war keine besonders ausgeprägte Eigenschaft eines letztlich gnadenlosen kleinbürgerlichen Milieus, als das ich das ganze Hannover eigentlich noch immer sehe.
An einem schönen Samstagabend – ich war soeben mit dem Zug von einer Gartenparty im Umland zurückgekommen, hatte mich am Hauptbahnhof „unterm Schwanz“(14) mit Alice Dee getroffen, dem Sänger meiner Band Rosa, wir schlenderten über die Georgstraße hin zum Steintorimbiss, um uns für die anstehende Punknacht zu stärken – kam es zur ultimativen Konfrontation mit diesem Milieu, zu dem ich nicht mehr gehörte.
Drei bereits gut angesoffene Buffer(15), wie ich sie aus meiner Zeit an der Straßenecke kannte, folgten uns. Nachdem sie sich einige Minuten warmgepöbelt und uns Bierflaschen nachgeworfen hatten, ging es auch schon los – Footchase. Ich schaffte es noch bis zur Mitte der Nordmannpassage, wo ich nach kurzer Gegenwehr umstandslos und ultrabrutal eingestiefelt wurde. Das Letzte, an das ich mich erinnere, bevor ich mit schweren Schädel- und inneren Verletzungen wieder zu mir kam, waren messingbeschlagene Stiefeletten, die mir ins Gesicht traten.
Als ich nach Monaten aus dem Krankenhaus(16) entlassen wurde, hatte sich einiges getan, interessanterweise auf dem Gebiet der Inneneinrichtung. Bärbel, der Schlagzeuger von Blitzkrieg, hatte es irgendwie geschafft, sich in eine Wohnung einzumieten. Als Raumschmuck nähte er – mit der Hand – eine Hakenkreuzfahne, so groß wie die größte Wand in der Wohnung.
51, lebt in Berlin und ist Journalist, Autor, Medienkünstler und Hubschrauberforscher. In der Punkszene in Hannover und Kreuzberg nannte er sich Rosa. Die taz.nord druckt in fünf Folgen eine gekürzte Fassung von Dubels autobiografischem Essay "Rosa - Erinnerungen an den jungen Punk" aus dem Bildband "Cool Aussehen" (Hg.: Diana Weis, Archiv der Jugendkulturen 2012).
Den Stoff hatte er bei Karstadt geklaut. Das Hakenkreuz hatte keinen einzigen rechten Winkel, nicht mal der weiße Kreis war regelmäßig rund. Auf diese monströse Fahne heftete er Fahndungsplakate mit den RAF-Aktivisten drauf, die er aus Polizeistationen holte. Wenn sie ihm keines geben wollten, stahl er das, was im Flur hing. Das Ziel, das Zimmer bis unter die Decke mit leeren Bierdosen zu füllen, wurde nicht erreicht. Nach einem Wochenende, das er alleine und auf LSD dort verbrachte, wurde die Wohnung durch den Vermieter zügig geräumt.
Das Hakenkreuz war ein Thema in der Szene. Was für die englischen Punks zutreffen mochte, dass sie nämlich letztlich nur eine sehr verschwommene Ahnung hatten, um was für ein Zeichen es sich handelte(17), traf sicher nicht auf die deutschen Punks zu, besonders nicht auf die politisch bewussteren. Wer damit hantierte, wusste im Allgemeinen, was er tat, wenn auch nicht immer warum oder wozu.
Bei einer Silvesterparty im Bremer Schlachthof, zu der ein Haufen Punks aus ganz Norddeutschland und auch einige Berliner gefahren waren, trat eine Band aus Hamburg auf, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere. Es war eine allgemeine Idioten-Crew. Der Sänger machte auf Sid Vicious, samt schwarzer Lederjacke, Hakenkreuz-T-Shirt und Halskette mit Vorhängeschloss. Den Berlinern in ihrem geschärften links-anarchistischen Bewusstsein war das aus politischen Gründen unerträglich, unserem hannoverschen Kontingent aus modischen Gründen. Konnte es ein lächerlicheres Posertum geben, als sich eins zu eins wie Sid Vicious anzuziehen?
Der absurdeste Freak des Abends war ein afrodeutscher Hamburger, der – wie sich später herausstellte – ganz gerne ein Nazi gewesen wäre und der – weil er bei Kühnen selbstverständlich nicht mitmachen durfte – eine eigene Schlägertruppe namens Savage Army (SA) gegründet hatte. Es kam zum Streit und im Anschluss an das Konzert der Band, das sich diese, unterstützt von ihren zahlreich angereisten und extrem aggressiven Fans, vom Veranstalter erpresst hatte, zu etlichen Schlägereien. „Alder, das is’ Punk, da verstehste nix von!“ wurde ein geflügeltes Wort für uns.
In dieser Nacht machte ich eine Beobachtung, die mein späteres Leben nachhaltiger beeinflussen sollte als alles, was ich bis dahin gesehen hatte. Ich sah einem Typen dabei zu, wie er sich – betrunken hin- und herschwankend – mühsam mit einer Hand an einer Laterne festhielt und auf seine Schuhe kotzte. Blitzartig erkannte ich: Es kam mehr auf die Haltung an und weniger auf die Klamotten.
Zwei Wochen später war ich in West-Berli.
(14) "Unterm Schwanz" des Pferdes des Ernst-August-Denkmals vor dem Hauptbahnhof. Der klassische Verabredungspunkt für Generationen von Hannoveranern ...
(15) (deutsch ausgesprochen) stumpfsinnige junge Schlägertypen in beigefarbenen Cordsakkos (mit zu kurzen Ärmeln) und weiten 1970er-Jahre-Jeans.
(16) Das Krankenhaus lag dann direkt neben dem Punk- und Fetischklamottenladen S.W.3. Zudem stellte sich heraus, dass der Arzt, der mir den mehrfach gebrochenen Kiefer zusammendrahtete, der Großvater des Sängers und Gitarristen der hannoverschen Ur-Punkband Kondensators (und später Abstürzende Brieftauben) Konrad "Votze" Kittner (2006) war.
(17) Johnny Rotten schreibt in seiner Autobiografie: "The Punks didnt even know what the Swastika meant. [...] Punks used it innocently just to show off. [...] To them it meant that it was taboo and anti-social. They never questioned what it stood for because they were too naive. Do you think Sid knew what the Swastika stood for? Sids idea was that it was naughty and that was as deep as he went for it." (Lydon, John: "Rotten. No Irish, No Blacks, No dogs. The Authorized Autobiography of Johnny Rotten and the Sex Pistols", New York 1994).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin