: Wie der Mossad den Grünen eins auswischte
Zu dem Interview Henryk M. Broders mit Christian Ströbele ■ Von Klaus Bittermann
Die Geschichte fing ganz harmlos als der übliche Beziehungsknatsch zwischen Fundis und Realos an. Die hessische Grünen- Mitgliederversammlung faßte mit Blick auf die Bedrohung der israelischen Bevölkerung durch irakische Scud-Raketen einen Beschluß, in dem es hieß, daß „die Bereitstellung von Abwehrmitteln... nicht verweigert werden“ kann. Der Sprecher des Bundesvorstands, Ströbele, und das Bundesvorstandsmitglied Renate Damus waren da ganz anderer Ansicht, die sie auf einer Nahostreise der israelischen Friedensbewegung vermitteln wollten. In einem offenen Brief teilten sie mit, daß die Lieferung deutscher Abwehrraketen an Israel zum Schutz vor irakischen Raketenangriffen abzulehnen sei. Zwar hatte Ströbele zehn Jahre lang „Waffen für El Salvador“ gesammelt, aber nun schien sich doch noch sein pazifistisches Gewissen zu regen. Weder politisch noch moralisch sei es zu vertreten, deutsche Abwehrraketen als Hilfe gegen deutsches Giftgas nach Israel zu liefern.
Die 'FAZ‘ meldete dazu am 13.Februar: „Der Grünen-Sprecher machte Israel verantwortlich für den Ausbruch des Krieges am Golf. Israel habe sich für einen Krieg ausgesprochen, der auf diese Weise mit herbeigeführt worden sei.“ Aufgrund dieses Berichts vereinbarte der Journalist Henryk Broder einen Interviewtermin mit Ströbele, das am 16.Februar geführt wurde. Eine Autorisierung des Gesprächs wurde von Ströbele nicht verlangt. Die vollständige Fassung des Interviews wurde Ströbele mit der Post zugestellt.
Am 19.Februar, am Tag der Reise der Grünen-Delegation nach Israel erschien in der 'Süddeutschen Zeitung‘ eine von der Redaktion gekürzte Version des Interviews, in der Ströbele seine Position bekräftigt, die irakische Okkupation Kuwaits mit der israelischen Besetzung der Westbank und des Gaza-Streifens vergleicht und schließlich sagt: „Die irakischen Raketenangriffe sind die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels.“ Am gleichen Tag erscheint das zu einer News Story umgearbeitete Interview auch in der 'Jerusalem Post‘, einen Tag später in der taz, wobei die Redaktion ebenfalls Kürzungen vornimmt, allerdings andere als die 'Süddeutsche Zeitung‘.
Soweit der Tathergang. Der Bericht in der 'Jerusalem Post‘ schlug in Israel hohe Wellen. Gesprächspartner aus der Friedensbewegung sagten die vereinbarten Termine ab, und in der Knesset forderten Abgeordnete, die Grünen zu unerwünschten Personen zu erklären. Diese Reaktion war wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, daß Israel nicht zu den kriegführenden Staaten gehörte und Mitte Februar damit rechnen mußte, daß Saddam Hussein seine Drohung, Israel auszulöschen, mit B- und C-Waffen auf Scud-Raketen wahrmachen würde. Dem als Geisel genommenen Israel vorzuhalten, es hätte seine Situation selbst verschuldet, gleicht dem Vorwurf von Richtern in Vergewaltigungsprozessen an das Opfer, es hätte den Täter eben nicht mit einem zu kurzen Rock provozieren dürfen.
In Bonn beraumten die Grünen eine kurzfristige Pressekonferenz ein, auf der Ströbele sich darüber beklagte, daß die Mißverständnisse, von denen er „zutiefst erschüttert“ (deeply shocked) sei, nicht etwa auf seine Parteinahme für Saddam Hussein zurückzuführen seien, sondern auf das „besonders perfide gestaltete“ Interview. Broder wäre ein „150prozentiger Vertreter der israelischen Regierungspolitik“ und habe das Interview „absichtlich manipuliert, um den Versuch der Grünen zu vereiteln, die Argumente der deutschen Friedensbewegung in Israel verständlich zu machen“. Renate Damus beschimpfte Henryk Broder als „Schmierenjournalisten“, ein mit eindeutigen Konnotationen belasteter Begriff aus dem Arsenal der antisemitischen Propaganda. Zwar entschuldigte sich Damus bei Broder wie auch bei der israelischen Bevölkerung, bei der jüdischen Gemeinde in der Bundesrepublik und den israelischen Freunden, beharrte jedoch auf der Position „keine Waffenlieferungen“.
Schließlich trat Ströbele von seinem Posten als Vorstandssprecher der Grünen zurück, nicht jedoch weil er „etwas Falsches“ gesagt hatte, wie er in einem späteren Interview bekanntgab, sondern weil er „die Aufgabe eines Sprechers der Grünen nicht ausreichend wahrnehmen kann“. Eine Woche lang meldete sich die Basis der Grünen in Leserbriefen der taz zu Wort und stärkte Ströbele den Rücken. „Ströbele hat doch recht!“ lautete der Tenor aus der Unterstützerszene, die endlich einen Schlußstrich unter die Vergangenheit ziehen will: „Wann machen wir uns endlich von der Vergangenheit los, die uns ein freies Urteil nicht mehr erlaubt?“ Auch Franz-Josef Degenhardt grüßte: „Jetzt haben sie Dich im Visier, die Bellizisten, weil Deine ,Marschrichtung‘ stimmt.“
Von soviel Zuspruch aus der Basis ermutigt, ging Ströble in die Offensive. Sein Anwalt Klaus Eschen, der die „Kampagne so geschickt eingefädelt“ fand, daß er glaubte, Broder „wäre ein Agent des israelischen Geheimdienstes Mossad“, wollte nunmehr Broder daran hindern, Ströbele weiter „in die Pfanne zu hauen“. War Ströbele bisher öffentlich nicht dazu in der Lage gewesen, klarzustellen, was er eigentlich gemeint, aber nicht gesagt hatte, oder gesagt hat, aber nicht so meinte, will er jetzt die bürgerliche Justiz darüber befinden lassen, was er wirklich gemeint hat.
In der Anklageschrift Ströbele gegen Broder soll dem Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes von 50.000 DM untersagt werden zu behaupten, Ströbele habe gesagt, „Iraks Angriffe auf Israel seien die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels gegenüber den Palästinensern und den arabischen Staaten und inbesondere gegenüber dem Irak, ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß der Kläger auch erklärt hat, er halte diese Konsequenz nicht für richtig und billige sie nicht“. Durch diese Forderung wird der Eindruck erweckt, Broder habe die einschränkende Bemerkung Ströbeles absichtlich unter den Tisch fallen lassen. Tatsächlich jedoch hat Broder, der den inkriminierten Satz offensichtlich zuerst nicht glauben wollte, nachgefragt: „Also ist Israel selber schuld, wenn es jetzt mit Raketen beschossen wird?“ Wieder antwortete Ströbele, daß dies die Konsequenz der israelischen Politik sei. Darauf Broder nochmals: „Sie finden es also richtig, daß Israel jetzt beschossen wird?“ Erst jetzt stellte Ströbele fest, daß er diese Konsequenz nicht billige, bleibt jedoch dabei: „Ich stelle einfach fest, Israel hat eine Politik betrieben, die das zur Folge hatte.“
Hält man die Klageschrift und den Inhalt des Interviews gegenüber, wird nicht mehr klar, worum es Ströbele/Eschen eigentlich geht. Darum, daß Broder einen Satz nicht mehr zitieren darf, den Ströbele erst nach mehrfacher Nachfrage Broders mit einer Einschränkung versah, die man eine Einschränkung kaum nennen kann?
Ein weiterer wesentlicher Punkt der Unterlassungsklage besteht darin, daß Broder nicht mehr behaupten darf, er habe die Äußerungen Ströbeles wörtlich wiedergegeben und lediglich die Ähs und Öhs herausgenommen. Und hier hat Ströbele gute Chancen, denn natürlich ist ein Interviewer gezwungen, aus Gesprochenem, das im Regelfall redundant und grammatikalisch inkorrekt ist, vollständige Sätze zu bilden, wie sie ein Zeitungsleser zu recht erwarten darf.
Während Ströbele kurz vor seiner Abreise nach Israel in einem Statement an die 'Jerusalem Post‘ noch behauptet hatte, daß das Interview weder seine Meinung wiedergebe noch das, was während des Interviews gesagt wurde („The interview published neither represents my opinion nor what has been said actually during the interview talks“), teilte er der Zeitschrift 'Provo‘ vom 5.April 1991 in einem Interview mit: „Das Interview war nicht gefälscht. Aber Broder hatte sich aus dem einstündigen Interviewgespräch wie aus einem Steinbruch bedient und Zitate aus dem Zusammenhang gerissen. In dem Artikel der Jerusalem Post waren Zitate auch unvollständig und sinnentstellend falsch wiedergegeben. Inzwischen bin ich bemüht, gerichtlich klären zu lassen, daß er das nicht durfte.“
Dieses Kunststück kann in der Tat nur einem Mossad-Agenten gelingen, nämlich ein Interview zu führen, das zwar nicht gefälscht ist, aber auch nicht die Meinung des Interviewten wiedergibt. Was hat Ströbele also tatsächlich gesagt? Die Möglichkeit einer Richtigstellung hatte Ströbele sowohl in der 'Süddeutschen Zeitung‘ als auch in der Fortsetzung nächste Seite
Fortsetzung
taz. In beiden Fällen hat er darauf verzichtet und es Broder angekreidet, daß die jeweiligen Redaktionen Kürzungen am Interview vorgenommen hatten.
Jemanden zu beschuldigen, Sätze und Zitate aus dem Zusammenhang gerissen zu haben, ist durchaus legitim. Normalerweise reagiert man dann öffentlich auf die Unterstellungen und rückt seine Aussagen wieder zurecht. Ströbele hat dabei immer neue Mißverständnisse produziert, weil es an seinen Aussagen, wie er selbst betont, nichts zu revidieren gibt. Daß er nun die bürgerliche Justiz bemüht, um die angeblich aus dem Zusammenhang gerissenen Sätze zum Gegenstand eines Prozesses zu machen, ist dabei allerdings kurios.
Ströbele setzt vermutlich auf das Kuzzeitgedächtnis der LeserInnen, die lediglich registrieren, daß Ströbele geklagt hat und deshalb auch einen Grund gehabt haben muß, d.h. irgend etwas wird an dem Interview schon faul gewesen sein. Und würde er nur in einem der beklagten Punkte Recht bekommen, wäre das bereits ein Sieg auf der ganzen Linie, denn die journalistische Glaubwürdigkeit Broders wäre damit in Zweifel gezogen.
Noch kurioser wird die Sache durch ein Interview Ströbeles in der AL- Zeitung 'Der Stachel‘ vom März/ April 1991. Hier ist weder von der 'Süddeutschen Zeitung‘ noch von der taz die Rede, sondern nur noch von der News Story in der 'Jerusalem Post‘: „Die Präsentation und Gestaltung des Artikels in der Jerusalem Post durch Henryk Broder waren nicht fair.“ Die Frage wäre allerdings: Ist Mangel an Fairneß ein justiziabler Gegenstand?
In dieser Affäre weist Ströbele eine verblüffende Ähnlichkeit mit seinen politischen Gegnern Kohl und Jenninger auf, die erst beim Nachlesen ihrer Worte merken, was sie gesagt haben und nach einem Schuldigen für ihre Fehlleistungen suchen. Ströbele stellt sich jetzt als Opfer einer Verschwörung dar. Broder wäre es auf eine „Herabwürdigung“ Ströbeles angekommen, und er hätte „durch weitere Äußerungen zu erkennen gegeben“, daß es ihm darauf ankäme, Ströbele „fertigzumachen“. Broder habe versucht, die Grünen „zu destabilisieren, zu spalten und einen der bekanntesten Kritiker der neuen Politik Israels gegenüber den Palästinensern zu ,neutralisieren‘“. (Klaus Eschen)
Wer die Vermutung, Ströbele fühle sich als Opfer einer Verschwörung, übertrieben findet, muß sich von ihm selbst eines Besseren belehren lassen. In einem internen Vorbereitungspapier zum Parteitag der Grünen am 26.April stellt Ströbele, diesmal „ohne Mißverständnisse“, sein „Verhältnis zu Isarel und zum Golfkrieg“ dar: „Ein paar Wochen nach der Rückkehr aus Israel ist mir, als wache ich aus einem bösen Traum auf: Da saßen dunkle Gestalten spät abends in den Räumen der taz, verfaßten und verschickten einen Drohbrief an mich... Alle scheinen nur auf ein Zeichen gewartet zu haben, sich auf mich zu stürzen.“
Die dunkle Gestalt war Henryk Broder selbst. Der ließ die Bundesgeschäftststelle der Grünen in Bonn wissen: „Wenn das, was Herr Ströbele sagt, nicht seine Meinung wiedergibt, dann handelt es sich um ein Problem von Herrn Ströbele, mit dem er einen Experten für Schizophrenie konsultieren sollte, statt sich über die authentische Wiedergabe seiner Un-Meinung zu beschweren.“ Broder kündigt in diesem Schreiben rechtliche Schritte an, falls Ströbele weiterhin bestreitet, daß das Interview nicht das wiedergibt, was er tatsächlich gesagt hat.
Ströbele erwachte schließlich aus seinem bösen Traum auch durch einen „Zeitungskommentar eines Kollegen über die mögliche Rolle des israelischen Geheimdienstes Mossad in meiner Affäre“. Ströbeles Kollege ist kein anderer als sein eigener Anwalt Klaus Eschen.
Während Joschka Fischer kurz nach Veröffentlichung des Interviews Ströbele einen „Büttel Saddam Husseins“ schimpfte (ist Fischer womöglich auch ein bezahlter Agent des Mossad?), ist im grünen Lager kurz vor dem nächsten Parteitag nichts mehr von einer Auseinandersetzung zu bemerken. Während die einen sich für Ströbeles Äußerungen in der Öffentlichkeit entschuldigen, sammelt Ströbele Punkte bei der Basis, die ihrem ehemaligen Vorstandssprecher zustimmend auf die Schulter klopft. Sollte sich diese Form der Arbeitsteilung bei den Grünen durchsetzen und sich niemand finden, der Ströbele öffentlich in die Parade fährt, dann allerdings wird das Problem Ströbele zu einem Problem der grünen Partei.
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