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Wie den mißbrauchten Kindern helfen? qqq qqq qqq qqq qqq qqq qqq qqq qqq

■ Sozialressort organisierte Tagung über „Sexuellen Mißbrauch“ / Soziale Dienste überfordert

Schätzungen über die Dunkelziffer der Fälle, in denen Kinder in einer Großstadt wie Bremen jedes Jahr sexuell mißbraucht werden, gehen bis zu 3000. Aber kaum zwei Dutzend landen pro Jahr vor bremischen Gerichten. Um die Lücke zwischen diesen beiden Zahlen ging es gestern auf einer Tagung, die die Sozialbehörde zum Thema „Sexuelle Gewalt“ organisiert hat: SozialarbeiterInnen sollten sich darüber austauschen, wie die professionelle Hilfe für die Opfer verbessert werden kann.

Denn zunehmend müssen sich SozialarbeiterInnen, die einen Anfangsverdacht äußern, als „Kinderklauer“ beschimpfen lassen: Ist der Verdacht einigermaßen untermauert, so kann im Zusammenarbeit mit den Familiengerichten das betroffene Kind zumindest für eine begrenzte Zeit aus der Familie herausgenommen werden, um weiteren Mißbrauch zu unterbinden und Zeit zur Aufklärung zu schaffen. Aber dann beginnt das Problem der Sozialarbeiter: Sie stehen in der Beweispflicht, die sie überfordert. Denn die „Täter“ sind in den meisten Fällen Familienangehörige, die zusammenhalten. In vielen Fällen wollen auch mißhandelte Mädchen lieber zu ihren Eltern zurück als im Heim leben. „Wenn wir in einer intensiven Befragung Kinder zu klaren Aussagen gebracht haben“, meinte eine Sozialbeiterin, „dann bekommen wir hinterher von den Anwälten der Beschuldigten eine Dienstaufsichtsbeschwerde angehängt mit der Behauptung, da sei etwas suggestiv hineingefragt worden“. Vor Gericht zudem gilt das Wort der Sozialarbeiterin wenig: für Gutachten sind ÄrztInnen und PsychologInnen gefragt.

In Bremen sind zwar seit einiger Zeit porofessionelle Hilfsangebote eingerichtet wie das Mädchenhaus oder „Schattenriß“, aber die, sagt Heidemarie Rose vom Sozialressort, „sind nicht ausgelastet“. Wenn man dazunimmt, daß 70 Prozent der Mädchen, die zum Mädchenhaus kommen, in der Behördensprache „Selbstmelderinnen“ sind, also nicht von den sozialen Diensten geschickt werden, dann ist klar: die sozialen Dienste erreichen die Betroffenen nicht.

Im Amt für Soziale Dienste Ost hat Rita Häfner deshalb ein Konzept dafür entwickelt, wie „diagnostisch qualifiziertes Personal“ sozusagen als „multiprofessionelles Team“ den SozialarbeiterInnen helfen könnte. Dagegen wenden viele SozialarbeiterInnen ein, daß so eine Super-Spezialisierte Stelle geschaffen würde, die ganz eindimensional orientiert wäre und jedes Kind nur unter dem Gesichtspunkt: sexueller Mißbrauch sehen würde. Über Weiterbildung wollen viele SozialarbeiterInnen sich selbst für die schwierige Situation schulen.

Während die Sozialarbeiterinnen - eine handvoll Männer waren unter den 150 Teilnehmerinnen der Veranstaltung - sich für die mißbrauchten Mädchen engagieren wollten, hatte Amendt am Vormittag die Mütter und ihre Jungen berichtet. Ca. 30 Prozent der Mütter gaben in einer umfangreichen Befragung an, „aus Sorge“ um eine mögliche Vorhautverengung ihrer Sprößlinge an seiner Vorhaut zu manipulieren - meist über Jahre und ohne mit den Vätern oder einem Arzt darüber zu sprechen. Für Amendt ist eindeutig: Hier wird „unter dem Schleier moderner Elternsorge“ die „Schamgrenze“ überschritten, die Mütter würden den „beschämenden“ und traumatisierenden Anteil nicht erkennen.

Da er aber keineswegs den Eltern ein schlechtes Gewissen gegenüber der „Berührungslust“ mit ihren Kindern machen will, betont er immer wieder, jeder Einzelfall müsse von den Beteiligten für sich bewertet werden und angesichts der fließenden Grenzen helfe letztlich nur eine neue gesellschaftliche Debatte über die Sozialisation. Ulrike Schmauch von Pro Familia Hessen, die andere Referentin, hatte sich auf das Thema Männer und ihre Töchter konzentriert und eine „geschlechterpolitische Auseinandersetzung“ gefordert. K.W.

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