: Wie aus dem Besen bloß ein Handfeger wurde
Auseinandersetzung um die „Aktion Besen“ des Magistrats von Berlin / Zunächst sollte die Vergangenheit von 2.000 Mitarbeitern überprüft werden - nun müssen nur noch 192 leitende Angestellte Farbe bekennen / Gegner des Beschlusses wollen heute in Warnstreik treten ■ Von Claus Christian Malzahn
Berlin (taz) - Vor einem Jahr unterschlug er Unterlagen von Oppositionsgruppen, mit denen der Kommunalwahlbetrug zu beweisen gewesen wäre, im Oktober verteidigte er die prügelnde Polizei. Doch als Günter Wendland im Dezember als Berliner Generalstaatsanwalt zurücktrat, war seine berufliche Laufbahn nicht beendet.
Heute ordnet der Repräsentant des alten Regimes die Akten des neuen Innenstadtrats im Roten Rathaus: Während der unübersichtlichen Regierungsphase Modrow rettete sich der von Arbeitslosigkeit bedrohte Ex-Ankläger Wendland auf einen mit 1.800 Mark dotierten Sessel in einer Amtsstube der Stadtverwaltung.
Altlasten müssen raus
Wendland ist nicht die einzige „Altlast“, auf die der neue Magistrat Ende Mai beim Durchforsten der Personalunterlagen stieß. Neben denen, die schon zu SED-Zeiten hohe Posten in der Verwaltung innehatten, kamen nach dem 9.November noch etliche dazu, die sich - wie Wendland - an ihrer wichtigen Stelle im SED-Regime nicht mehr halten konnten.
Im Roten Rathaus sollten nun Ex-SED-Bürgermeister eine gläserne Verwaltung garantieren, frühere hochrangige Stasi -Mitarbeiter Bürgernähe herstellen und leitende Angestellte, deren Hauptqualifikation für ihren Job ein Parteiticket gewesen ist, die demokratische Erneuerung der Verwaltung organisieren helfen. In der Abteilung des Innenstadtrats Thomas Krüger (SPD) wurde ob dieses Horrorkabinetts deshalb ein Plan ausgeheckt: Rund 2.000 MitarbeiterInnen der Stadtverwaltung sollten auf ihre Vergangenheit überprüft und ihre Stellen neu ausgeschrieben werden. Doch was Krüger als Signal für eine demokratische Erneuerung und als „Angebot zur Diskussion“ verstanden wissen wollte, interpretierten viele Angestellte als „Gesinnungsschnüffelei“.
Tausende demonstrierten nach Bekanntwerden des Magistratsbeschlusses, der unter dem Namen „Aktion Besen“ in Berlin bekannt wurde, im Roten Rathaus, hielten gar den Plenarsaal besetzt. In einem offiziellen Schreiben wurde Hunderten von Mitarbeitern mitgeteilt, daß sie gekündigt werden sollten, falls sie nicht freiwillig ihren Arbeitsplatz zur Disposition stellten. Nach eingehender rechtlicher Prüfung und harschen Protesten entpuppte sich die „Aktion Besen“ in dieser Form aber als rechtlich unhaltbar.
Die Westberliner ÖTV schaltete sich ein und organisierte gemeinsam mit Künstlerverbänden einen Warnstreik und Demonstrationen. Innenstadtrat Krüger entschuldigte sich öffentlich, der Magistratsbeschluß wurde nach einer Krisensitzung „präzisiert“.
Nun sollen nur noch 192 leitende Angestellte des Magistrats einen Offenbarungseid leisten. In „persönlichen Gesprächen“ zwischen Stadträten und hochrangigen Mitarbeitern wird zur Zeit geklärt, ob die Karriere der betroffenen Mitarbeiter mit Kompetenz und Sachkenntnis oder stalinistischer Kungelwirtschaft zu tun hatte. Falls sich Letzteres herausstellt oder „ein Vertrauensverhältnis nicht herstellbar ist“ (Krüger) wird ein zweites Gespräch angesetzt, dem auch ein Vertreter des Personalrates beiwohnt. Falls auch dann keine Einigung erzielt werden kann, wird mit der „Kündigung im Lichte des geltenden Rechts“ gedroht oder ausgesprochen.
An diesem letzten Gespräch nimmt auch ein Vertreter eines unabhängigen Beirats teil. Rund die Hälfte der Betroffenen wurde bisher bereits interviewt, bis zum 30.Juni sollen die Gespräche abgeschlossen sein. Krüger betonte gegenüber der taz, jetzt „forcierte Gespräche“ zu führen. Eine Kündigung könne er in mehreren Fällen nicht ausschließen.
Während die PDS-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung zunächst Sturm gegen den Beschluß lief, stimmte sie der präzisierten Fassung des Magistratsbeschlusses in der vergangenen Woche zu.
Die Proteste rissen jedoch nicht ab. Über tausend DemonstrantInnen forderten noch in der vergangenen Woche die völlige Aufhebung des Beschlusses. Für heute wurden Warnstreiks in der Stadtverwaltung angekündigt. Doch Krüger rechnet nicht damit, daß heute die Verwaltung lahmgelegt wird. Seitdem die PDS zugestimmt habe, hätten sich die Wogen geglättet.
„Wenn es um Verwaltungsangelegenheiten geht, kommt man an der PDS noch nicht vorbei“, meint ein Magistratsmitarbeiter leicht resigniert. Denn anstelle des Besens, mit dem Krüger seine Verwaltung reinigen wollte, bekam der Sozialdemokrat letztendlich nur Handfeger und Kehrblech in die Hand gedrückt.
Günter Wendland beispielsweise braucht sich wegen des Magistratsbeschlusses keine Sorgen zu machen. Der Mann, der Prozesse wegen Amtsmißbrauch und Korruption verzögerte, arbeitet „nur“ in Gehaltsgruppe zehn und braucht seinem Vorgesetzten deshalb nicht zu erklären, wie er auf den Stuhl gekommen ist, auf dem er heute wieder sitzt.
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