: »Wie auf dem Flohmarkt«
■ Privat modernisierte Wohnungen sind teuerer, da sie ohne öffentliche Zuschüsse finanziert werden/ Folge: Mieterhöhungen/ Die Berliner MieterGemeinschaft und der Verein SO 36 haben jetzt eine »PrivatModIni« gegründet
Berlin. Privatmodernisierte Wohnungen »sind zumeist teurer und von schlechter Qualität. Sie werden von Personen angemietet, die aufgrund der Knappheit auf dem Wohnungsmarkt keine andere Möglichkeit haben. Sie verlassen die Wohnungen dann so schnell wie möglich.«
Beobachtungen, die an Aktualität nichts verloren haben. Tatsächlich stammen sie aus dem Jahr 1989. Seinerzeit hatte Sigmar Gude im Auftrag der S.T.E.R.N. GmbH eine Studie zur »Privatmodernisierung in Kreuzberg SO36« erstellt. Er kam zu dem Schluß, »daß die Vorstellungen, durch die Modernisierung werde die Sozialstruktur in Richtung auf den Kreuzberger oder gar Berliner Durchschnitt hin verändert, ganz offensichtlich unzutreffend« seien.
Privatmodernisierungen sind sogenannte »wertverbessernde Maßnahmen«, die vom Vermieter ohne öffentliche Zuschüsse finanziert werden. Die auf den Mieter abwälzbaren Kosten führen in der Regel zu enormen Mieterhöhungen und sozialer Umstrukturierung. »Diese Entwicklung hat mittlerweile stark zugenommen«, weiß Thomas Behrend vom Kreuzberger Verein SO36.
Während Sigmar Gude in seiner Studie noch schätzte, daß »die Gesamtzahl aller privat modernisierten Wohnungen zwischen 2.700 und 3.000« liege, schätzen Insider heute, daß rund 15.000 der insgesamt 75.000 Kreuzberger Wohnungen noch privat modernisiert werden könnten. Uli Bülhoff von S.T.E.R.N. hält diese Schätzung für realistisch. So gibt es allein im Strategiengebiet Kottbusser Tor rund 4.500 Wohnungen, die dringend (1.300) oder mittelfristig (3.200) erneuerungsbedürftig sind.
Hinzu kommt, daß der Berliner Senat die Programme zur Modernisierung mit öffentlichen Geldern drastisch kürzen will. »Das wird sich spätestens 1993 bemerkbar machen«, meint Stadtplaner Bülhoff. Denn mit dem Mangel an Förderungsmitteln treten zahlreiche Unsicherheiten zutage: Zurückstellung von Anträgen, nachträgliche Ablehnung, verlängerte Wartezeiten. Dies begünstige die Tendenz, die sich seit dem Fall der Mauer im November 1989 und der damit veränderten Lagequalität des Gebiets dramatisch verstärkt hat: das Ausweichen von Eigentümern, die eine Wartezeit von drei bis vier Jahren auf öffentliche Mittel nicht hinnehmen wollen, in die private Modernisierung. Durch sie wird dann de facto preiswerter Wohnraum vernichtet.
Die Ausgangssituation ist nach wie vor klassisch: Es findet ein Eigentümerwechsel statt, und der neue Hausbesitzer versucht sofort, mittels Privatmodernisierung das Mietniveau anzuheben. »Soweit die Erfahrungen gezeigt haben, bedeutet das mindestens eine Verdoppelung der bisherigen Miete«, so die Berliner MieterGemeinschaft.
Privatmodernisierung ist jedoch längst kein Privileg mehr von Neu- Eigentümern. »Wir hoffen auf Ihre Mitwirkung bei unserem Vorhaben, das Gebäude in ein schönes Haus mit angenehmer Wohn-Atmosphäre zu verwandeln«, schreibt zum Beispiel eine Hausverwaltung an »ihre« Mieterin. Auf zwanzig Seiten erklärt die Cramer Treuhand GmbH, was alles auf die Studentin in dem Haus am Ludwigkirchplatz zukommen würde: Anschluß an die Fernheizung, Einbau einer »neuzeitlichen Elektroanlage« bis hin zur Hofgestaltung. Das alles hat natürlich seinen Preis: »Der Modernisierungszuschlag beträgt 560,84 DM.« Pro Monat.
Das nun ließ die Mieterin, die sicher gern eine nette »Wohn-Atmosphäre« hätte, aus allen Wolken fallen. Denn ihre Miete würde sich dadurch von derzeit 290 auf mehr als 850 Mark verdreifachen! Die Mieterin jedoch nahm sich den Schlußsatz des Briefes zu Herzen, in einem Gespräch »nach Möglichkeit eine einvernehmliche Einigung bezüglich des Modernisierungszuschlags« zu erzielen. Die Studentin verhandelt derzeit mittels Rechtsbeistand mit der Hausverwaltung über die zukünftige Miethöhe.
»Bei vielen Verhandlungen um die Modernisierungskosten geht es in der Tat zu wie auf dem Flohmarkt«, sagt Reinhold Zuz vom Berliner Mieterverein. Privatmodernisierer setzten oft sehr hohe Zuschläge an, um sich mit den Mietern schließlich gütlich auf einem niedrigeren Niveau »einvernehmlich« zu einigen.
So auch geschehen bei der oben genannten Gesellschaft in einem anderen Objekt. Für ein Haus in Neukölln errechnete die Cramer GmbH einen Modernisierungszuschlag von 554 Mark. »Wir sind jedoch bereit,«, schrieb die Verwaltung nach Intervention des Berliner Mietervereins an den Mieter, »in Ihrem Fall den Modernisierungszuschlag um 339 Mark zu reduzieren.« Gleichwohl stieg in diesem Fall die Kaltmiete von einst 185 Mark — »zzgl. Zuschlag, abzgl. Nachlaß« — auf letztlich 400 Mark pro Monat. Immer noch eine teure Wohnwertverbesserung, die sich allerdings nicht jeder leisten kann.
Und so kommt es nicht von ungefähr, daß die Berliner MieterGemeinschaft in Zusammenarbeit mit dem Verein SO36 eine »PrivatMod- Ini« ins Leben gerufen hat. Zwar sind die rechtlichen Möglichkeiten, sich zu wehren, sehr beschränkt. Trotzdem, so berichtet der Verein, »gibt es Beispiele, in denen einzelne Hausgemeinschaften eine Modernisierung zwar nicht verhindern, aber doch erheblich verzögern und auf ein erträgliches Maß zurückstufen konnten«.
Neben dem Erfahrungsaustausch ist das Hauptziel der Initiative, durch gemeinsames Vorgehen von modernisierungsbetroffenen Mietern und der Ausarbeitung eigener Vorschläge den oftmals uferlosen Modernisierungsabsichten der Vermieter koordiniert etwas entgegenhalten zu können.
Für den Ostteil der Stadt indes sieht die Situation noch nicht ganz so dramatisch aus. Dort ist man noch immer hauptsächlich mit der Rückübertragung von Grundbesitz beschäftigt. Die ungeklärten Eigentumsverhältnisse, meint S.T.E.R.N.-Planer Christian Schmidt-Hermsdorf, verhinderten dort bis jetzt noch den privaten Modernisierungsboom. A. Lohse
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