Wie Westerwelle bei Grünen punktet: Klassenbewusst wie die FDP
Guido Westerwelle ist kein Rechtspopulist, wenn er Hartz-IV-Empfänger angreift. Er weiß, dass er mit seinen Tiraden auch in grün-linken Milieus ankommt.
Nur ein Gerücht muss es vorläufig bleiben, dass das, was Guido Westerwelle trotz heftiger Abwehrreaktionen sagt, ihm und seiner Partei schaden wird. Im Grunde ist es lediglich ein - im Übrigen typisch linkes - als allgültige Wahrheit verhandeltes Gefühl, dass die politischen Initiativen des FDP-Chefs keinen gesellschaftlichen Widerhall finden. Mit Verweis auf Meinungsumfragen gehen Linke (und Grüne und Alternative) gern öffentlich hausieren und suggerieren: Seht, alles gegen das Volk!
Aber es reicht nicht, das Phänomen des freidemokratischen Wahlerfolgs für irgendwie nichtig zu erklären. Eher wäre wichtig, diesen Erfolg zu erläutern. Die FDP hat nicht trotz,wegen Westerwelle 14,6 Prozent der Stimmen erhalten. Sie hat nicht trotz des Wahlprogramms sich dem sozialdemokratischen Wählerwert genähert, sondern dies gerade mit Verweis auf die Kritikwürdigkeit linker Politikfantasien vermocht. sondern
Möglicherweise hasardiert Westerwelle, weil er seine Bekundungen nicht zurücknimmt, sie sogar noch bekräftigt. Doch die Forderung nach einer Generaldebatte über Hartz IV im Bundestag kommt der FDP sehr gelegen. Denn sie wittert eine politische Stimmung zu ihren Gunsten - und in diese Marktlücke des Politischen muss sie wollen. Im Konzert der Armutsversteher hat sie keinen Platz - die ersten Geigen in diesem werden von der SPD, der Linken und der Union gespielt. Steht auf Spiegel Online "Westerwelle verteidigt Krawallkurs", ist das für die FDP eine gute Nachricht, keine diskreditierende. Was der FDP-Vordere zu sagen hat, erzeugt Resonanz. Unabhängig davon, ob realistisch ist, was er sagt - dass das Arbeiten zu Niedriglöhnen nicht lohnt, dass mit sozialstaatlichen Alimentationen alles nur sozialistischer werde, dass eine Existenz unter den materiellen Bedingungen eines Hartz-IV-Tarifs besser sei als arbeiten zu gehen: So empfinden sehr viele unter den Freiberuflern, unter Lohnabhängigen, Gewerkschaftern und solchen, die an der Supermarktkasse ihren Lohn verdienen, aber genau wissen, dass mit dem Geld vom Staat nicht minder schlecht über die Runden zu kommen wäre.
So denken, das entstammt der Expertise des Göttinger Politikanalysten Franz Walter, auch die meisten Grünen-Wählenden sowie erkleckliche Teile der Linken (in Ostdeutschland). Die grüne Wählerschaft war die verständigste, als es unter Kanzler Gerhard Schröder um das Hartz IV genannte Konstrukt aus christlicher Soziallehre und rheinisch-kapitalistischem Almosenbewusstsein ging. Die Grünen sind das Pendant zur FDP. Die Künasts und Roths verkaufen ihre Politik nur mild mütterlich, während Westerwelles Rhetorik väterlich scheint, mitleidlos und rau.
Die FDP sagt offen, dass Armut Mist ist und man mit ihr nichts zu tun haben will. Die Grünen hingegen würden das offen niemals aussprechen, aber sie leben so. Man wohnt im schicken Berlin-Kreuzberg und schickt die Gören auf eine elendsarme Schule entweder im eigenen Quartier oder gleich in einem anderen Viertel. Grüne würden nicht offen sagen, dass Unterschicht unter ihrer Würde ist. Aber man lebt materiell so sehr in trockenen Tüchern, dass die Antwort auf die Frage des Ökologischen immer eine der besseren Kreise bleibt. Die Grünen eint eine gusseiserne Aversion gegen alles Prollige - nicht cool, nicht öko, nicht gebildet, nicht anschlussfähig an sich selbst.
Klassenbewusst ist auch die FDP, aber sie eint auch ein Hass auf Armut wie auf deren Sozialverwaltung. Man wollte unter Jürgen W. Möllemann vom Pöbel gewählt werden, aber das ist passé. Was Westerwelle mitteilt, ist für ein einflussreiches Milieu gedacht: Seid dann solidarisch, wenn es lohnt, nicht aus Prinzip. Westerwelle ist kein Rechtspopulist - nur Dummlinke glauben, dass die Frage von Not und Elend eine genuin linke sei -, sondern ein Lautsprecher der Arrivierten und jener, die ohne Rücksicht auf die da unten ankommen wollen. Den Obigen zum Gefallen, immer im Dienste der ureigenen Sache.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich