Wie Pegida ins Abseits marschierte: Sekte ohne Massenbasis
Vor ein paar Jahren zog Pegida in Dresden Zehntausende an. Heute sind die Islamfeinde gesellschaftlich isoliert, aber noch radikaler.
Seit dreieinhalb Jahren löst vor allem sie als „Volksverräterin“ und „Heuchlerin“ Beißreflexe bei der Neuen Rechten aus. Auffällig war auch an diesem Merkel-Besuchstag in Dresden wieder der gemeinsame Auftritt von Pegida-Aktivisten und AfD-Mitgliedern. Der AfD-Landesvorsitzende Jörg Urban und Landtagsabgeordnete ruft in sein Megafon, während auch Jürgen Elsässers Magazin Compact mit einem großen Plakat auf sich aufmerksam macht.
Mit ihrer Marginalisierung und dem Verlust ihrer Massenbasis ist die Dresdner Pegida-Bewegung in jene Ecke einer rechten Sekte gerückt, in die sie anfangs teils zu Unrecht gestellt wurde. Als um die Jahreswende 2014/15 noch bis zu 25.000 Menschen den „Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes“ folgten, schreckte dies Politiker in der gesamten Republik auf. Heute nimmt außerhalb eines Stammpublikums niemand mehr Notiz von den montäglichen „Abendspaziergängen“. Seit zwei Jahren stagniert die Teilnehmerzahl nach Angaben der Initiative „durchgezählt“ bei etwa 1.500 Menschen.
Schon bei der Pegida-Spaltung im September 2016 hatte der radikalere Flügel um Tatjana Festerling die immer gleichen Empörungsrituale als „Widerstandsparty“ kritisiert. „Ob da nun 3.000 Leute marschieren oder nicht – es ändert sich sowieso nichts“, ätzte der Abtrünnige Heiko Müller aus dem ehemaligen Orga-Team um Anführer Lutz Bachmann. Zugleich hat sich der verbliebene Kern so radikalisiert, wie es Politikwissenschaftler und Soziologen vorhergesagt hatten. Wie Junkies müssen sie mit immer härteren verbalen Drogen bei Laune gehalten werden. Im Bachmann-Jargon gibt es nur „Idioten“ in der Politik. Journalisten nennt er unter dem Gejohle der Menge „fürstlich bezahlte mutmaßlich hirntote Lügenmäuler“.
Die Serie
In der Serie „Der zweite Blick“ gehen wir Themen nach, die vor Monaten oder Jahren einmal wichtig waren, aber dann aus den Schlagzeilen verschwunden sind. Riesenskandale, große Pläne, kontroverse Debatten – was ist davon geblieben, was ist der aktuelle Stand? Alle Texte gibt es unter taz.de/zweiter-blick
Holocaust-Leugnerin, 89, in Haft
Am Rande der Kundgebungen tummeln sich immer häufiger Gruppen, die auch die Staatsanwaltschaft beschäftigen. „Freiheit für Ursula Haverbeck“ forderte jüngst ein Stand der Bürgerinitiative Heidenauer Wellenlänge. Die 89-jährige Holocaust-Leugnerin sitzt in Haft und machte in Sachsen schon mit dem Plan für eine Gedenkstätte in Borna von sich reden. Die Polizei beschlagnahmte DVDs, darunter eine, auf deren Cover der Hitlergruß gezeigt wurde. Eine Lautsprecheranlage von Reichsbürgern wurde konfisziert, weil sie diese nicht ausschalten wollten.
Nicht nur Redner, auch Demonstranten rutschen allmählich unter das angeblich von ihnen zu verteidigende christlich-abendländische Kulturniveau. Als am 25. Juni der Konflikt um das Flüchtlingsrettungsschiff „Mission Lifeline“ erwähnt wurde, skandierte die Menge: „Absaufen, absaufen!“ Auch hier ermittelt die Staatsanwaltschaft. Ansonsten sind seit dreieinhalb Jahren dieselben Rufe zu hören. „Merkel muss weg“, „Volksverräter“ oder „Lügenpresse“ gehören zum Pegida-Repertoire.
Lutz Bachmann
Am 14. Mai dieses Jahres kamen allerdings Rufe wie „Höcke, Höcke“ und „AfD“ hinzu. Erstmals sprach der AfD-Rechtsaußen vor Pegidianern auf dem Dresdner Postplatz und bekräftigte so den Schulterschluss mit der Protestbewegung. Sachsens AfD-Landesvorsitzender Jörg Urban hatte sich zuvor schon gegen das Kooperationsverbot ausgesprochen. Pegida-Vertreter waren im Februar ganz selbstverständlich auf dem AfD-Landesparteitag erschienen. Ein harter Unterstützerkreis folgt ohnehin Höcke-Auftritten als Demotouristen, so beim 1. Mai in Zwickau. Höcke bedankte sich in Dresden: Pegida werde gebraucht für einen „kräftigen Tritt in den Hintern der Partei“. Das scheint allerdings nur noch für Dresden zu gelten. Alle anderen Ableger wie in München oder „Legida“ in Leipzig bringen bestenfalls noch 150 Leute auf die Straße. Mehr Gegendemonstranten werden in Dresden allerdings auch selten gezählt, während das Verhältnis in anderen Städten umgekehrt ist. Die Akzeptanz bei der Dresdner Stadtbevölkerung ist nach einer Umfrage aus dem Vorjahr jedoch deutlich gesunken, auch wenn laut Umfragen immer noch 5 Prozent die Pegida-Thesen ganz und 26 Prozent bedingt teilen.
Halbwelttyp
Zum Niedergang des Pegida-Images hat nicht nur die Übernahme ihrer Ziele wie die Hermetisierung Deutschlands und deren Popularisierung durch die AfD beigetragen. Auch das Personal fällt immer offensichtlicher nicht unter die Kategorie des braven wohlanständigen Bürgers, den die Bewegung angeblich repräsentieren will. Die kriminelle Vergangenheit von Lutz Bachmann wurde von seinen Anhängern stets hartnäckig verdrängt. Aber der Halbwelttyp legt nach. 2016 wurde er für die Bezeichnung von Flüchtlingen als „Viehzeug“, „Gelumpe“ und „Dreckspack“ wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von knapp 10.000 Euro verurteilt. Aus ähnlichen Gründen ermittelt jetzt die Berliner Polizei nach Bachmanns Falschdenunziation im Fall der getöteten Schülerin Keira. Die britischen Behörden ließen ihn im März nicht zu einem Treffen mit dem Nationalisten Tommy Robinson einreisen.
Wegen Volksverhetzung verurteilt wurde auch der deutsch-türkische Autor und Pegida-Redner Akif Pirinçci. Publikumsliebling und Würzburger Waffenhändler „Ed“ Edwin Wagensvald aus Holland sitzt zwei Jahre und neun Monate, weil er dem Fiskus knapp eine halbe Million Euro vorenthalten hat.
Vom anfangs messbaren Imageschaden wegen der Pöbler von Pegida hat sich Dresden schnell erholt. Die Zahl der Touristen steigt wieder, im ersten Quartal 2018 sogar zweistellig. Knapp 419.000 Gäste kamen in die Halbmillionenstadt. Vor allem, um am Montag Pegida zu bestaunen, wie Bachmann behauptete. Wahrnehmungsstörungen sind ein Markenzeichen von Pegida. Sie gehen mit einer Selbstverklärung als Revolutionäre einher und zeigen so erst recht ihre wachsende Isolation. Pegida sieht sich aber weiter als Vorkämpferin der kommenden Machtübernahme. „Wir bleiben, bis wir siegen, und wir werden siegen!“, putscht Lutz Bachmann seine verbliebenen Anhänger auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht