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Archiv-Artikel

Wie Indien klingt: Auszug aus dem Buch „Sänger müssen zweimal sterben“ Eine Reise ins unerhörte Indien von Peter Pannke

Benares ist eine Stadt der Perkussionisten. Die Damarus, die Trommeln Shivas, die aus den Tempeln ertönen, geben den Grundrhythmus vor, in den die Bewohner der Stadt mit Hämmern, Schlagen und Klopfen einstimmen. Metall schlägt auf Metall, auf Gummi, Holz und Blech, untermalt und interpunktiert von Menschenstimmen, Glocken und Muschelhörnern, von brüllenden Eseln, bellenden und jaulenden Hunden, krächzenden Krähen und zwitschernden Spatzen, zeternden Affen, dem Schnauben der Wasserbüffel und dem nächtlichen Tremolieren der Frösche am Ufer des Flusses, nicht zu vergessen die markerschütternden Hupen der Lastwagen und die verzerrten, übersteuerten Lautsprecher, deren Programm von vedischen Rezitationen bis zum neuesten Filmsong reicht. Der Charakter der Performance ist perkussiv, die Welle der wiederkehrenden Rhythmen weit gespannt; der Tag klingt anders als die Nacht, der Sommer anders als der Winter.

Und alle spielen mit. Die Bambusknüppel der Polizisten schlagen den Takt der Stadt auf die Rücken der Rikschafahrer, in den Basaren klopfen Spezialisten Silberfolien mit Gummihämmern dünn, bis sie zur hauchfeinen Verzierung von Süßigkeiten werden, die Dhobis klatschen am Flussufer Wäschestücke auf die Steine, ölig verschmierte Handwerker in den Metallwerkstätten schmieden Ersatzteile und schlagen aus Blechplatten Koffergehäuse heraus. Rhythmische Mikrozyklen werden in die Stunden, Minuten, Sekunden eingeschrieben: Die Silberschmiede ziselieren mit ihren Hämmern feine Ornamente in den Klangtext der Stadt, die Tablameister von Benares, berühmt für ihre schnellen Tempi, ihr aggressives Auftreten und ihren harten Schlag, haben die Kunst, die Zeit in kleinstmögliche Einheiten zu zerlegen, zu höchster Perfektion entwickelt. Benares ist ein klingender Organismus, eine perkussive Sinfonie, die sich die Stadt jeden Tag aus Neue komponiert.

Den Dirigenten dieser Sinfonie fand ich nur wenige hundert Meter von der Kreuzung von Godowlia entfernt, versteckt in einem Gewirr von Gassen, die sich von der Hauptstraße aus in die Altstadt schlängeln. Unter dem goldenen Dach des Tempels, der dem Vishwanath, dem „Allherrscher“, geweiht ist, residiert Shiva, der göttliche Schlagzeuger, der Schutzpatron von Benares, der nicht nur die Stadt, sondern das ganze Universum aus seiner Trommel herausschüttelt.

In der kleinen Gasse, die zum Tempel führt, passierte ich den Schrein des Hüters der Stadt. Seinen Namen Dandapani erhielt er von dem Danda, dem Stock, den er in der Hand trägt ganz wie die zeitgenössischen Polizisten ihre Bambusknüppel. Er ist der Sheriff von Benares. Die beiden Deputy Sheriffs, die den Zugang kontrollieren, heißen Udbrahma und Sambrahma, „Verwirrung“ und „Zweifel“. Sie entscheiden auch, wer den heiligen Wald Shivas betreten darf: Wer nicht durch Verwirrung und Zweifel hindurchgeht, kann ihn nicht erreichen.

Peter Pannke: „Sänger müssen zweimal sterben – Eine Reise ins unerhörte Indien“. Malik 2006, 319 Seiten, Schwarz-Weiß-Fotografien, 19,90 Euro