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Wie Berliner Bezirkspolitik funktioniertDer Wienerle-Kongress

An der politischen Basis, von der Bevölkerung meist unbeachtet, schuften die Bezirksverordneten. Parkbänke dürfen sie aufstellen, Ampeln nicht. Eine Übersicht

Die Bezirke haben kein Geld, aber viel zu tun. Bild: dpa

Der schäbige Tagungssaal im Bezirksamt Pankow gehört eigentlich nicht zu den klassischen Auftrittsorten eines Techno-DJs. Trotzdem war Dr. Motte im vergangenen Jahr hier regelmäßiger Gast - um sich mit seiner Initiative "Stoppt K21" über den Umbau der Kastanienallee zu beschweren.

Alle sechs Wochen tagt in der Pankower Fröbelstraße das Parlament, das offiziell auf den umständlichen Namen Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hört. Zwölf BVVs gibt es in Berlin, eine pro Bezirk, aber wer keine Baustelle vor seiner Haustür zu beklagen hat, weiß oft herzlich wenig darüber.

"Die meisten Bürger entdeckten die BVV erst, wenn sie ein akutes Problem haben", meint Sabine Röhrbein. Seit Oktober 2011 ist die SPD-Politikerin Bezirksverordnetenvorsteherin in Pankow, das heißt, sie leitet das rot-grün dominierte Bezirksparlament. Dessen 55 Verordnete treffen sich regelmäßig in dem schmucklosen Saal, essen Wiener Würstchen und machen Lokalpolitik bei mieser Beleuchtung. Gemütlich ist das nicht, aber Geld für neue Lichter gibt es gerade keins. Wenigstens regnet es nicht durch die Decke wie im Verwaltungsgebäude nebenan.

Wichtige kleine Dinge

Bezirksfinanzen

Den Berliner Bezirken geht es ein wenig wie Kindern, die von ihren Eltern Taschengeld bekommen: Das Land Berlin stellt ihnen aus seinem Haushalt Geld zur Verfügung, welches sie in ihren Bezirkshaushalten verplanen dürfen. Bevor diese Entscheidungen jedoch umgesetzt werden, schaut das Abgeordnetenhaus noch einmal drüber und greift ein, wenn ihm etwas nicht passt.

Auch bei der Menge des zur Verfügung stehenden Geldes sind die Bezirke vom Senat abhängig. Das sorgt derzeit für Streit: 112 Millionen Euro mehr bräuchten die zwölf Bezirke in den kommenden zwei Jahren, fordert die politische Basis. Doch in dem Ende Januar vom Senat vorgelegten Haushaltsentwurf für 2012/13 ist dieses zusätzliche Geld nicht vorgesehen. Für die Bezirke ein Zeichen dafür, dass der Senat zum einen keine Ahnung hat, welche Zustände und Bedürfnisse in den Bezirken herrschen. Und zum anderen ein Grund, mehr Rechte in diesem Bereich einzufordern. (juwi)

Von der Sanierung der Grundschule am Weißen See über eine bessere Beleuchtung von Fußwegen in Buch bis hin zur Entwicklung der großen Brachfläche auf dem Gelände des ehemaligen Pankower Rangierbahnhofs - alles, was das Leben der Menschen in den Kiezen direkt betrifft, kommt hier auf die Tagesordnung. "Es sind die kleinen Dinge, die aber für das Zusammenleben wichtig sind, die wir beeinflussen können", erklärt Röhrbein.

Anders als ein klassisches Parlament ist die BVV in ihrer Entscheidungsgewalt jedoch beschränkt. Weder Gesetze noch Verordnungen darf sie verabschieden. Was sie beschließt, landet im Bezirksamt, wo die Stadträte entscheiden, was umgesetzt wird. Meist hält sich das Amt aber an die Empfehlungen - zumal es von der BVV kontrolliert wird. Auch den Bezirkshaushalt dürfen die Mitglieder des Gremiums zwar beschließen, endgültig abgesegnet werden muss er aber vom Abgeordnetenhaus. Nur beim Bauen haben die Bezirksverordneten wirklich das letzte Wort, denn jeder Bebauungsplan muss über ihre Tische.

Schwenk nach Westen: In Reinickendorf treffen sich die Lokalpolitiker in einem Rittersaal. Zumindest sieht der Raum im Altbau des Rathauses mit seiner dunklen Holzvertäfelung und der goldverzierten Kuppeldecke so aus. Hier hat die CDU das Sagen.

Die Mühen der Lokalpolitik müssen aber auch hier bewältigt werden. Das zeigte erst vor kurzem eine ausufernde Debatte um die Fällung des Weihnachtsbaums in der Fußgängerzone in Alt-Tegel: Wegen einer Unwetterwarnung hatte die Feuerwehr den Baum mit einer Kettensäge umlegen müssen. Ausgerechnet an Heiligabend! Das hat für ziemlichen Ärger gesorgt.

"Das systematische Problem der Lokalpolitik ist, dass die wenigsten Themen flächendeckend relevant sind", erklärt Hinrich Lühmann, parteiloser Vorsteher der Reinickendorfer BVV. "Wenn in Frohnau vor der Post ein Zebrastreifen fehlt, dann ist das den Menschen in Ost-Reinickendorf ziemlich egal. Aber für die Frohnauer ist es ein ernsthaftes Problem, das es zu erörtern gilt."

Genau dieser Kleinteiligkeit verdankt die Versammlung den Ruf, sich mit belanglosen Themen herumzuschlagen, die nur ein paar Betroffene interessieren. Nur ganz hartgesottene Lokalpatrioten kommen einfach aus Interesse zu den Tagungen. "Kein Bürger schaut fünf Stunden begeistert der Demokratie zu", meint Lühmann. "Aber wenn man will, dass es demokratisch funktioniert, kann man nicht einfach weniger spannend erscheinende Themen auslagern."

Um mehr Gäste in die Sitzungen zu locken, überlegt man derzeit in Reinickendorf, die Tagesordnung mit Zeitangaben zu versehen. Dann können die Besucher gezielt vorbeischauen, zumal wenn die Liste mal wieder 50 Punkte lang ist. Und wer ein konkretes Anliegen hat, kann das bei der Bürgerfragestunde gleich zu Beginn vortragen. "Jeder wird gehört", verspricht Lühmann. "So können die Parteien das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen."

Im Dezember beschwerte sich etwa ein Reinickendorfer über die Situation an der Sechserbrücke am Tegeler Hafen. Aufgrund der vielen Treppenstufen sei die Fußgängerbrücke für Rollstuhl- und Fahrradfahrer nur schwer zu passieren. Prompt sagten ihm die Politiker zu, Spuren für Fahrräder zu installieren. Ob ein Aufzug oder eine Rampe dazukommt, muss allerdings das Land entscheiden. Politik ist eben kompliziert.

Michael Schulz ist das alles zu bürokratisch. "Wir brauchen mehr Kompetenzen, weil wir thematisch viel näher dran sind als die Kollegen im Abgeordnetenhaus", findet der Fraktionsvorsitzende der Piraten in Reinickendorf. Anders als die Vorsteher Röhrbein und Lühmann ist er mit der Aufteilung der Macht zwischen Land und Bezirk ganz und gar nicht zufrieden. "Wir in der BVV können etwas für den Kiez tun, indem wir etwa dafür sorgen, dass ein Park gereinigt wird und ein paar Bänke bekommt", sagt Schulz. Eine neue Ampel sei hingegen Sache des Landes. Bei der für Reinickendorf so wichtigen Entwicklung der Flughafenfläche in Tegel komme der Bezirk ebenfalls zu kurz. "Wir können nur Anregungen geben. Die Entscheidungen fällen Land und Bund."

Gegenwind für die Kleinen

Auch sonst geht Schulz, der in der vergangenen Wahlperiode für "Die Grauen" in der BVV saß, hart mit der Bezirkspolitik ins Gericht. "Am Anfang wird man als Vertreter einer kleinen Partei immer herzlich begrüßt", erzählt er. Sobald es aber an die konkrete Arbeit gehe, fielen Sätze wie "Ihr habt doch keine Ahnung" oder "So läuft das hier nicht". Frischen Wind in die Bezirkspolitik zu bringen ist gar nicht so einfach.

Die Aufgaben als Bezirksverordneter erledigt Schulz ausschließlich in seiner Freizeit. Dafür gibt es etwa 400 Euro Aufwandsentschädigung im Monat. "Andere gehen zum Sportverein, ich mache Politik", sagt er. Hinrich Lühmann bekommt als Vorsteher der BVV etwa 1.400 Euro. Er war jahrelang Direktor eines Gymnasiums in Tegel, ist aber mittlerweise pensioniert. Durchschnittlich 20 Stunden investiert er jede Woche in die politische Arbeit. "In der BVV sitzen Leute, die sich zu Gunsten ihrer Mitbürger engagieren. Das kann man nicht hoch genug einschätzen", findet er. Die Pankowerin Sabine Röhrbein arbeitet neben ihrer politischen Funktion als Geschäftsführerin beim Landesfrauenrat Berlin - halbtags. Anders sei das auch gar nicht möglich, erzählt sie. "Viele Bürger haben eine gewisse Anspruchshaltung an die Politiker. Sie wissen oft nicht, dass wir das ehrenamtlich machen."

Talentschmiede BVV

Ein Nachwuchsproblem habe die Bezirkspolitik aber trotz zeitlicher Belastung und der fehlender Anerkennung nicht, so Röhrbein. "Allein auf unserer SPD-Liste für die Wahl zur BVV standen 50 Leute, darunter auch viele junge." Der Wille, sich aktiv für die eigene Umgebung einzusetzen, sei da. Und nicht zuletzt sei die BVV der Ort, Talente an den politischen Betrieb heranzuführen.

Eine, die diesen Weg gewählt hat, ist Clara West (SPD). Fünf Jahre war sie in Pankow Bezirksverordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Bildung. Im September zog sie als Direktkandidatin ihres Wahlkreises in Prenzlauer Berg Nord ins Abgeordnetenhaus ein. "Mich hat fasziniert, wie viele konkrete Gestaltungsmöglichkeiten man als Politiker in einem Bezirk wie Pankow hat." Als sie vor neun Jahren nach Berlin zog, engagierte sie sich über den Ortsverein und dann in der BVV.

Vom Prinzip her laufe die Arbeit im Abgeordnetenhaus ähnlich ab wie auf Bezirksebene, erzählt West. Im Lokalen seien die Aufgaben jedoch weniger komplex und die Gräben zwischen den Parteien nicht so tief. Während ihrer Zeit in der BVV habe diese sich etwa dafür eingesetzt, eine von Schließung bedrohte Bücherei im Bötzowviertel mit Hilfe von Ehrenamtlichen offen zu halten. "Dabei haben alle Politiker über die Parteigrenzen hinweg zusammengearbeitet."

Und was hält Clara West von den Tagungen? Sie winkt ab: "Im Vergleich mit den Sitzungen im Abgeordnetenhaus, die schon mal bis tief in die Nacht gehen können, sind die fünf Stunden in der BVV noch harmlos."

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