■ Wie Amerikas Angst China die Vernunft austreibt: Hilfloser Konkurrent
Bill Clinton hatte schon im April darauf verwiesen, daß China „weniger als zwei Dutzend atomare Langstreckenraketen besitzt und wir mehr als sechstausend“. Doch die Entwarnung funktionierte nicht. Als gestern Teile des Kongreßberichts über die vermutete chinesische Atomspionage in US-Nuklearlaboratorien veröffentlicht wurden, reagierte das politische Establishment in den USA mit einer Empörung, die weit über diese Affäre hinaus reichte. Nur noch wenige Amerikaner sehen die USA als reiches Industrieland und China, damit verglichen, als armes Entwicklungsland.
Das näherrückende 21. Jahrhundert mag ein Grund dafür sein, weshalb China plötzlich als „strategischer Konkurrent“ wahrgenommen wird. Nur bis ins Jahr 2015, so brütet das Pentagon, sei die US-Vorherrschaft weltweit gesichert. Schon im Jahr 2010, so verheißt die Weltbank, könne China größte Wirtschaftsmacht sein. Diese Jahreszahlen erscheinen heute schon ziemlich nah. Einschüchternd aber ist vor allem die Masse der Chinesen: 1,25 Milliarden Menschen, fast jeder vierte Erdbewohner. Wie ein Schock wirkten die Demonstrationen chinesischer Studenten nach der Nato-Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad auf die US-Öffentlichkeit. Da tauchte sie plötzlich auf: die chinesische Masse als Gegner. Gerade jetzt, da Amerika reicher denn je und militärisch unschlagbar ist, erscheint allein dieser Gegner unkalkulierbar.
Eine „strategische Konkurrenz“ können die Chinesen hingegen nur vortäuschen. Natürlich gefällt sich Jiang Zemin gerne in der Rolle des Weltpolitikers. Doch in der Volksrepublik leben heute 900 Millionen Bauern in großer Bescheidenheit, und in den Städten droht eine nie dagewesene Massenarbeitslosigkeit. Die Voraussagen von Pentagon und Weltbank mögen einen Trend andeuten, aber die chinesische Realität verbietet heute auch dem kühnsten Kommunisten den Traum, mit Amerika rivalisieren zu können. In Wirklichkeit bleibt China Entwicklungsland – auf lange Zeit. Es fragt sich nur, was die Chinesen daraus machen, wenn ihnen schon in Armut die Angst der Stärkeren begegnet.
Ganz konkret stellt sich diese Frage bei den laufenden Verhandlungen um Chinas Beitritt in die WTO. Der Westen verweigert China die Aufnahmebedingungen eines Entwicklungslandes. Bisher reagiert Peking mit einer immer weiter gehenden Marktöffnung. Doch ewig wird dieses Land nicht so vernünftig bleiben. Georg Blume
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