: Widerstand durch „Wieder stehen“
■ Der DDR–Liedermacher Krawczyk wagt Flucht nach vorn: Offener Brief an SED–Chefideologen Hager / Vom Staatssicher– heitsdienst beschattet / Auftrittsverbot und Geldstrafen für Pfarrer, die ihm kirchliche Räume zur Verfügung stellen
Aus Ost–Berlin S. Hurk
„Was lange gärt, wird endlich Wut .. jetzt läßt sichs nicht mehr halten.“ Stephan Krawczyk „Da sind nur Langhaarige drin“, unken zwei Popper vor der Samariterkirche in Berlin–Friedrichshain. Sie irren. Innen finden sich ihresgleichen neben adretten Bürgersöhnchen, seriösen Erwachsenen und Nickelbrillenintellektuellen. Im Kirchenschiff sind bis hinauf in die Ränge auch die Stehplätze gefüllt. Der Hausherr, „Friedenspfarrer“ Eppelmann, droht mit Zuschließen der Kirchentür, wenn nicht alle zusammenrücken, denn „wir sitzen in ei nem Boot, das nicht absaufen soll“. Die Arche Noah, so ist das Innere der Kirche anläßlich der Friedensdekade ausgeschmückt, kentert nicht. Im Gegenteil: Trotz Gegenwind hält Steuermann Eppelmann sein Schiff auf Kurs durch die stürmische See. Richtung Utopia? „Wenn wa den nicht hätten!“ sagt sich laut ein Besucherpaar. „Miteinanderleben“, stellt Eppelmann das Motto dieser Friedensdekade vor, „heißt aufeinander achten und voneinander wissen.“ Solidarität, die der 31jährige „schönste Liedermacher der DDR“, so Eppelmann, Stephan Krawczyk, zur Zeit dringend braucht. Immer häufiger laden ihn Gemeinden wieder aus, auf Druck des Staates hin, unter Androhung von Bußgeldern um die 500 Mark. „Pfarrer Baumgart aus Bernburg hat gerade zum zweiten Mal eine Bußgeldforderung erhalten, diesmal 750 Mark - als Wiederholungstäter“, teilt Eppelmann mit. Die Tat: Krawczyk–Konzerte. Krawczyk, der mal allein, mal gemeinsam mit seiner Frau, der Theaterregisseurin Freya Klier, auftritt, ist ein Biermann–Verschnitt auf faszinierenden eigenen Wegen. Er singt von der Depression der unmündig Gehaltenen, von „weggetriebenen Freunden“, von der Partei als „Druckverband“ und „Zynicals“ statt Musicals. „Wenn einer wieder steht, soll er sich wieder setzen“, lautet seine Parole. „Wieder stehen“ heißt auch sein Programm, das stets per Flüsterpropaganda großen Zulauf erhält. Und ausgesprochen verheißt „Wieder stehen“ Widerstand. An diesem Abend wagt Krawczyk die Flucht nach vorn. Hat er Angst? „Ja“, antwortet er am Rande. Gerade hat ihm das Kulturministerium eine „Argumentation“ mitgeteilt: Wie wenig seine Texte in das sozialistische Zusammenleben passe und daß sein Programm nicht den Interessen der DDR entspreche; so könne man ihm keine Sicherheit gewährleisten. Zur Zeit reiht sich eine Vorladung an die andere, am Freitag zur Polizei, Telefonblockade, Postsperre, Reiseverbot und Stasi–Bewachung sind längst verhängt. Üble Nachrede (“Obszönitäten und Rassismus in unserer Kunst“) ist auch noch angesagt. Seit zwei Jahren unterliegt der staatlich ausgezeichnete Brecht– Interpret aus der SED einem Berufsverbot. Aber 80.000 Zuhörer hat er seitdem gezählt, in stets überfüllten Kirchenräumen. „Wir führen keine Fehlerdiskussion“, zitiert Krawczyk Wolfgang Biermann, den Kombinatsdirektor von Carl Zeiss Jena und ZK– Mitglied. „Laßt Euch nicht verhärten in dieser harten Zeit“, kommt der weithin bekanntere Biermann in den Sinn. „Pfingsten vor dem Tore“, singt Krawczyk sein Lied über den Ost–Berliner Jugendprotest anläßlich der Reichstagskonzerte, ein Lied, das er zum Kirchentag außen vorlassen mußte: „... Wir fühlten uns wieder gehörig betrogen und hatten die Mauer so satt.“ „Notdurft“ heißt ein anderes, neues Lied. Als Zeichen, wie beschissen die Lage ist? Tumulte gibt es auch an diesem Abend, als 500 Exemplare eines „Offenen Briefes“ an den SED–Ideologen Hager gerecht verteilt werden sollen (Siehe Dokumentation). Im Vorraum der Kirche gehen im Gedränge beinahe Bilder zu Bruch. „Nicht klatschen!“, äußert sich barsch mein Nachbar zu seinem Nebenmann. „Was solls“, antwortet dieser, „ich hab doch nicht mein FDJ–Hemd an.“ Daß jemand „noch so viel Mut hat und nicht resigniert“, äußern anerkennend andere nach dem anderthalbstündigen Konzert. „Laßt uns träumen, auch für uns gäbe es das gelobte Land“, zitiert zum Abschluß Pfarrer Eppelmann aus dem Alten Testament. Und für Krawczyk will der Beifall nicht enden. „Wenn die gegen den oder den Pfarrer vorgehen, schlagen die sich doch ins eigene Gesicht“, resümiert im Gespräch eine Zuhörerin. Und Krawczyk? „Ich freue mich über jeden Auftritt, der zustande kommt.“ Bis ins Frühjahr hat er - trotz mancher Absagen - Auftritte genug. Und wenn es allzu eng wird, will er gehen? „Nein, auf gar keinen Fall, hier leben die Leute, für die ich singe und die mich hören wollen.“ Vielleicht weil sie ihn brauchen, um sich Mut zu machen. Auf der Rückfahrt im U–Bahn–Abteil lesen, mittenmang unter anderen, vier Leute den Offenen Brief offen in ihrer Hand.
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