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Wider die psychosoziale Beliebigkeit

■ Der Hamburger Drogenbeauftragte will die Suchthilfe effektiv und transparent machen / Kosten-Nutzen-Prinzip und Erfolgskontrollen sollen eingeführt werden

Hamburg (taz) – Marktwirtschaft statt Planwirtschaft. Mit dieser Forderung schockiert der Drogenbeauftragte des hamburgischen Senats, Horst Bossong, derzeit Sozialpädagogen im allgemeinen und Suchtberater im besonderen. Mit Beginn des nächsten Jahres führt er das Kosten-Nutzen- Prinzip in der Suchthilfe der Hansestadt ein. Dafür wird er von vielen Beratern und Therapeuten schon vorauseilend gehaßt.

Von ihnen erwartet Bossong künftig bisher Undenkbares. Sie sollen in harten Daten nachweisen, was und wie erfolgreich sie gearbeitet haben. In einem Vortrag vor Suchtexperten beschrieb Bossong vor wenigen Tagen die aktuelle Berichtspraxis der Suchthilfe als „lyrisch verklärte Dateninterpretation“. Hinsichtlich der Erfolgskontrolle seien die üblichen Berichte nicht brauchbar. Aus ihnen sei nur ersichtlich: „Hier ist etwas geschehen, hier haben Sozialarbeiter gearbeitet und offenbar bei – komischerweise fast immer – rund 30 bis 40 Prozent der Klienten irgendwelche Erfolge erzielt.“

Der Drogenbeauftragte will das „Irgendwie“ in der Suchthilfe nicht mehr akzeptieren. Die vorherrschende Beliebigkeit psychosozialer Tätigkeit sei dem Finanzier, dem Steuerzahler, nicht mehr zuzumuten. Zur Zeit werde ausschließlich der Input bezahlt, nicht der Output.

Bossong entlarvt die Sozialpädagogenszene am Beispiel der Suchthilfe als Anspruchsmaschinerie. Er will jetzt Leistungen sehen und nicht nur „irgendwie“ hören. „Bedarf“ allein begründet für ihn keine einzige Planstelle mehr. Bei der unendlichen Konstruktion neuer Beratungsbedürfnisse spielt er nicht mehr mit.

Am Beispiel hamburgischer Initiativen beschreibt Bossong den Dünnsinn sozialarbeiterischer Expansionsgelüste. Sozpäds hatten für die etwa 100 exzessiven Cannabiskonsumenten in der 1,7-Millionen-Einwohner-Stadt ein eigenes Sonderhilfesystem gefordert. Begründung: Es sei doch klar, daß die Hascher ihren Fuß nicht in Einrichtungen setzten dürften, in denen auch Abhängige harter Drogen beraten würden. Inzwischen werden spezielle Angebote für Ecstasy-Konsumenten gefordert. Bossong bezweifelt, daß die jugendlichen Disco-Kids oder die alternden Haschbrüder überhaupt Hilfe wollen: „In der Erfindung sozialer Bedarfslagen ist die Sozialarbeit wahrlich ein Weltmeister.“

Der hauptamtliche Suchtpolitiker will fundierte Antworten auf die Frage: „Können wir das, wofür wir Zuständigkeit, Geld und Planstellen fordern, auch real leisten?“ Deshalb will er von den Einrichtungen der Hamburger Suchthilfe jetzt genaue „Produktbeschreibungen“, in denen das Leistungsangebot nachvollziehbar dargestellt wird. Die Qualifikation der Mitarbeiter muß nachgewiesen werden. Bossong will kundenfreundliche Öffnungszeiten durchsetzen, und er will in harten Zahlen erfahren, wie die Zielgruppe erreicht wurde und was für sie getan werden konnte. Außerdem erwartet er eine innere Organisation der Einrichtungen, die es auch erlaubt, Akten zu finden, wenn man sie sucht. Kurzum: Die Suchthilfe soll nach kaufmännischen Kriterien funktionieren. Nur unter solchen Bedingungen – da ist der Drogenbeauftragte ganz sicher – hat die psychosoziale Arbeit noch Chancen, Staatsknete zu erhalten. Vielleicht aber auch nicht einmal dann: „Stellt sich heraus, daß die Drogensozialarbeit tatsächlich ein in weiten Teilen ineffizientes Unternehmen ist, dann würde dementsprechend wenig des verfügbaren öffentlichen Geldes abfließen. Die Zahl der in der Drogenarbeit tätigen Sozialarbeiter würde sich gleichsam drastisch von selbst reduzieren, und der öffentliche Haushalt wäre geschont.“

Doch Bossong ist nicht nur ein harter Rechner, manchmal überkommen ihn auch sanfte Träume: „Zeigt sich, daß die Drogenpolitik hochkompetent und effizient ist, dann wäre sie bestens gewappnet für ihre Finanzierungsforderungen an die Adresse von Staat und Gesellschaft und könnte sich auf Expansionskurs begeben.“ Jürgen Oetting

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