: Who's who der Baumafia
■ Eva Schweitzer hat mit "Großbaustelle Berlin" den Wandel von der Westberliner Baumafia zum internationalen Baukartell beschrieben, das die "Hauptstadt verplant"
Daß „der Baureporter“ oft unverstanden bleibt, unterscheidet ihn von seinen Kollegen in den anderen Ressorts. „Keiner in der Redaktion hat auch nur die leiseste Vorstellung davon, was eine GFZ, ein Bebauungsplan oder auch nur eine Traufhöhe ist“, schreibt eine, die es wissen muß: Eva Schweitzer (37), Bauredakteurin beim Tagesspiegel und zuvor bei der taz. Und weil ein Baureporter natürlich wie jeder Mensch Anerkennung braucht, sitzt er „gerne bei dem Baulöwen auf dem Schoß“, denn der, so Schweitzer, „versteht ihn wenigstens“.
Das Herumsitzen bei den Baulöwen hat sich zumindest für Eva Schweitzer gelohnt: „Großbaustelle Berlin – wie die Hauptstadt verplant wird“ heißt ihr erstes Buch, mit dem die Autorin gleich einen Treffer gelandet hat, der in der nobel aufgemachten Tristesse der Berlin-Literatur seinesgleichen sucht. Wo ansonsten allenthalben über den steinigen Weg zur Metropole räsoniert wird, nennt Eva Schweitzer die Dinge (und die Verantwortlichen) beim Namen. Hinter den oft gesichtslosen Bauten und abstrakten baupolitischen Entscheidungen der Hauptstadt wird damit ein Personengeflecht deutlich, das einem unentbehrlich ist, will man Berlins Hauptstadtwerdung in ihrer Widersprüchlichkeit begreifen.
Die hintergründige Reportage- und Porträtsammlung „Großbaustelle Berlin“ ist aber nicht nur ein Who's who der Berliner Bauszene, sondern auch die Geschichte eines Abschieds: Seit der Maueröffnung, spätestens aber mit der Ausweitung des bundesdeutschen Baurechts auf die ehemalige DDR haben international agierende Investoren, Projektentwickler und Glücksritter die einstige Vormachtstellung des handverlesenen West-Berliner Baukartells auf die Reservebank katapultiert. Eva Schweitzer zeichnet den Zerfallsprozeß der Klingbeil, Otremba, Penz oder Groth und Graalfs und wie sie alle heißen akribisch nach: vom 1991 durch eine Briefbombe getöteten Investorenbetreuer des Senats, der sich als erster den Zorn der Westberliner Baulöwen zugezogen hat, bis hin zum Niedergang der Klingbeil-Nachfolger Groenke und Guttmann, deren Pleitefirma Trigon heute nurmehr ein Zuwendungsempfänger der Deutschen Bank ist.
Doch Eva Schweitzer versucht nicht nur Licht ins Dickicht der verschiedenen Zuständigkeiten, politischen Konkurrenzen und Entscheidungsprozesse zu bringen, sondern auch die oft kuriosen Konfliktkonstellationen in der Berliner Architekturdebatte zu bringen. Sie verteidigt den „herben Polterkopf“ Hans Stimmann gegen Dekonstruktivisten, Hochhaus- und Preußenfans gleichermaßen und geißelt die Investorenhörigkeit mancher Architekten wie den Chicagoer „Turmvater“ Helmut Jahn, dessen größtes städtebauliches Verbrechen hinter dem Café Kranzler noch bevorsteht.
Wo die Verplaner der Hauptstadt agieren, dürfen natürlich auch ihre Widersacher nicht fehlen: Schweitzer porträtiert deshalb nicht nur Roland Ernst oder Klaus Töpfer, sondern auch die einstige Baustadträtin von Mitte, Dorothee Dubrau, oder die behutsamen Stadterneuerer, die es von Kreuzberg in den Prenzlauer Berg verschlagen hat und dort nun mit den Kiezfürsten-Ost ihr stadtteilpolitisches Geschick unter Beweis stellen können.
Dabei offenbart die Autorin viel Sympathie nicht nur für Bundesbauminister Klaus Töpfer und Ex-Bausenator Wolfgang Nagel, sondern namentlich auch für die bündnisgrünen Baupolitiker und kann damit so manches loswerden, was ihr im Hause Holzbrink verwehrt bleibt. Das gilt auch für Nagels Nachfolger Jürgen Klemann: „ein blasser Bezirkspolitiker, der zuvor vor allem durch die mißglückte Olympiabewerbung auf sich aufmerksam machte“. Uwe Rada
Eva Schweitzer: „Großbaustelle Berlin. Wie die Hauptstadt verplant wird“. Verlag Nicolai, 34DM
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