: Who was who
■ Posthum: Das erste biographische Lexikon der DDR
Genau 1.510 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens der verstorbenen DDR, ausgewählt nach Prominenz und Popularität, Einfluß und Leistung: „Wer war wer — DDR“ (mit Ton auf „war“) heißt der Titel — und reimt sich auch noch. Da haben wir dann beisammen: den Kapellmeister und das Politbüromitglied, den führenden Philosophen und den Botschafter des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden, den als Amateur verkleideten Meisterboxer wie die Wettbewerbsbeauftragte im Textilkombinat Zittau (die sprichwörtliche Frida Hockauf, geb. Kloos: „So, wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben“ — sie hat recht behalten!). Die den Staat aufbauten und die ihn abrissen, hier sind sie einträchtig nebeneinander, Armeegeneral Erich Mielke und Generaloberst des MfS Rudi Mittig nehmen ein letztes Mal die Friedenskreispastorin Ruth Misselwitz in die Zange, wie der Zufall des Alphabets es gefügt hat; auch die sind vertreten, die den Staat einrissen, indem sie ihn aufzubauen und zu sichern gedachten, wie Erik der Rote und sein Wirtschaftsfeldherr Günter Nach-Mittag (auch er ein Dissident, wie wir inzwischen wissen). Die tragischen Figuren wie die komischen, die unverfrorenen Wendehälse wie die armen Selbstmörder, die einen Strick nahmen oder eine Pistole (letzteres insoweit Nomenklaturkader und damit Waffenträger), die sturen Dogmatiker wie die einsichtigen Realisten, die etwas zurechtzurücken versuchten, ohne daß das Ganze einfallen sollte — was dann mißlang. Karl-Eduard von Schnitzler auf der Zielgeraden um Brustbreite vor Wolfgang Schnur, gefolgt von der unvermeidlichen Romanistin Rita Schober und dem Schlagertenor Frank Schöbel („Wieee ein Steeern in einehr Sooommernaacht“!). Ein grandioser Einlauf! Und dann die Szenen nach dem Einlauf (wir Leser kennen sie, der Schnappschuß zeigt sie noch nicht): Lothar der Hugenotte am Boden zum Beispiel, schnaufend; dagegen hoch zu Roß: Manfred der Aufrechte, der Robin Hood der Brandenburger, in den Staub mit seinen Feinden!
Dieses „Who was who“ ist ein Unikum, obwohl es aussieht wie alle Vorgänger. Wobei schon einmal interessant ist, daß in der DDR selbst eine solche „Verbrecherkartei“ nie erstellt wurde. Es war die Bundesrepublik, in der „Namen und Daten wichtiger Persönlichkeiten der DDR“ erschien, wobei „wichtige“ nahezu stets auch linientreue waren (heute gehören die Staats- und Stasi-Auflöser und treuhändigen Abwickler dazu). Das Buch stand seinerzeit offenbar in jeder Amts- und Redaktionsstube und war wichtig für die Vorbereitung auf Ereignisse wie die Leipziger Messe oder die KSZE- Konferenz — zum Auffüllen von Trinksprüchen. Die DDR dagegen hat ihre Promis nur nebenbei definiert, in „Meyers Lexikon“ äußerstenfalls.
Das neues „Wer war wer“ des Links Verlags ist unikal, weil es mit dem Glockenschlag 3.Oktober 1990 aussetzt. Als sei an diesem Tag ein riesiger Komet auf dem Festlandssockel DDR niedergegangen. Wer beim Einschlag prominent war, kam hinein, die anderen versanken ungenannt im Orkus. Komisch ist das deshalb, weil es ein Leben im Jenseits gibt. „Willi der Hammer“, Willibald Böck, zum Beispiel, der inzwischen etwas zurückgezogene Thüringer Innenminister, kam erst nachher zu Ruhm und Ehren, ebenso Angela Merkel, beide fehlen; Günter Krause dagegen ist zu Recht im „Who was who“, denn er hat den Meteoriten vom 3.Oktober mit herangelockt, war schon vorher wer.
Sie können also Spaß haben mit dem Lexikon, und wenn Sie Sinn haben für Humor und Sarkasmus, dann unbedingt kaufen! Aber auch die Behörden, Redaktionen, Akademien und Institute brauchen es weiterhin dringend. Diesmal dafür, sich zu vergewissern, ob man jemand zum Nationalfeiertag in die „Chat-Show“ einladen darf. Leider allerdings kann das Lexikon da nicht zuverlässig sein. Es enttarnt zwar Schnur und Böhme, nicht dagegen de Maizière und Sascha Anderson und viele andere, die als prominente Biedermänner figurieren. Darauf kommt es aber nicht an: Die nicht geheimen Aspekte wichtiger Persönlichkeiten sind ordentlich recherchiert und aufgelistet — soweit ich das an Stichproben feststellen konnte.
Ein trockenes Nachschlagewerk als Wachsfigurenkabinett — gut gemacht! Eine solch skurrile Momentaufnahme von einem Tableau, auf das der Hammer saust, wird es wohl nie wieder geben. Jens Reich
„Wer war wer? Biographisches Lexikon DDR“. Christoph Links Verlag 1992, 800 Seiten, 58DM.
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