Wettbewerb: Haute Couture der Blumenhändler
Bei der Deutschen Meisterschaft der Floristen muss Berlin durch die Blume präsentiert werden. Für den Sieger zahlt sich der Heimvorteil am Ende aus.
Eine Blumenwiese in Gelb, Rot und Orange rankt sich aus der Platte des Glastischs heraus, dazwischen hat Magdalena Lötzer sorgsam Espressotassen drapiert, sogar ein kleiner Keks liegt auf jedem Löffelchen daneben. Ein paar Meter weiter hat ihre Kollegin Nina Grupe einen zarten Sommerblumenstrauß in ein Gerüst aus dicken Metallstreben gebunden, deren Schwerkraft handelsübliche Vasen überfordern würde.
„Also, dit würden die Kunden mir aber um die Ohrn haun“, sagt eine offenbar fachkundige Besucherin amüsiert zu ihrer Begleiterin. Die pflichtet ihr bei: „Nee, für die Kunden wär dit nüscht.“ Nein, alltagstauglich war das mit Sicherheit nicht, was den BesucherInnen am Wochenende bei den Deutschen Meisterschaften der Floristen in den Potsdamer Platz Arkaden präsentiert wurde. Und zum Nachmachen waren Tischschmuck, Sträuße und Gestecke wohl auch nicht gedacht: Sowenig es bei Haute-Couture-Modenschauen um tragbare Kleidung geht, so wenig ging es hier um das profane Sträußchen zum Hochzeitstag. Stattdessen: kreative Demonstration, was sich mit Blumen sonst noch alles anstellen lässt. Etwa die Pflanzen einfach mal aus dem Tisch wachsen lassen. Oder mit gelber und grüner Kresse die Potsdamer Parkanlagen des preußischen Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lennée nachbilden, wie die Düsseldorferin Susanne Schmitt es tat. Auf jeden Fall zu viel Arbeit für den heimischen Balkon – und auch zu schade zum Aufessen.
Qualifiziert für den Titelkampf, der gemeinsam vom Fachverband Deutscher Floristen und Fleurop veranstaltet wurde, hatten sich jeweils die Landesmeister der einzelnen Bundesländer. Berlin-Brandenburg stellte einen gemeinsamen Kandidaten, nicht dabei waren Sachsen, Bremen und Rheinland-Pfalz.
In den drei Disziplinen des ersten Wettkampftags stand Berlin als Austragungsort im Mittelpunkt: Gefordert waren Pflanzarbeiten zum Thema historische Parkanlagen, die Vergangenheit und Gegenwart des Potsdamer Platzes sollte in einem Gesteck floral interpretiert und schließlich noch ein Strauß unter der Überschrift „Der Herzschlag Berlins“ gebunden werden. Am Sonntag mussten die elf TeilnehmerInnen per Tischdekoration eine beliebige Stadt interpretieren, bei der abschließenden „Überraschungsarbeit“ ging es wieder um Berlin, mit dieses Mal vorgegebenem Material – Bambus und Flamingoblumen – sollten sie sich in 90 Minuten spontan etwas zu den „überraschenden Perspektiven“ dieser Stadt einfallen lassen. Eine achtköpfige Expertenjury wanderte mit Klemmbrett unter dem Arm durch die Reihen und vergab 0 bis 100 Punkte in verschiedenen Kategorien, etwa für Kreativität und technische Umsetzung.
Allzu überraschend war das, was da durch die Blume über Berlin gesagt wurde, dann allerdings nicht. Den meisten TeilnehmerInnen war zur Stadt mit dem Potsdamer Platz in der Mitte mehr oder weniger das Gleiche eingefallen: früher die grauen Mauerjahre, davor die noch graueren Kriegsjahre, heute ein buntes Durcheinander mit Menschen aus aller Welt.
Aber wie die Floristen ihre Ideen in Blumen kleideten, war beeindruckend: Bei Stefan Göttle aus Baden-Württemberg entstand aus den Pflanzen eine Art Zeitstrahl: grüne Wiesenblumen und Margariten symbolisierten das 18. Jahrhundert, als der Potsdamer Platz noch zur ländlich geprägten Berliner Vorstadt gehörte. Ein paar Schritte weiter begannen bei ihm die 1920er Jahre mit einer roten, opulenten Blütenpracht: die Zeit der Varietés und Prostituierten. Einen halben Meter weiter war alles verdorrt: 1945. Zwei Schritte weiter dann alles wieder bunt: heute.
Und Nina Grupe, Landesmeisterin aus Niedersachsen, hatte historische Aufnahmen des Potsdamer Platzes neben Visitenkarten eines heute dort ansässigen Pizzabringdienstes in eine Wand aus Glasbausteinen gefügt. Daneben ging das begleitende Blumenarrangement fast unter. Überhaupt schienen das Material, der ganze Aufbau drum herum wichtiger zu sein als die Blumen selbst: „Da steckt mein Erspartes der letzten drei Jahre drin“, sagte der Berliner Jürgen Herold und deutete auf seine Werke. Ein halbes Boot, umflochten von gelben Duftrosen, ragte in seiner Tischschmuckarbeit auf: Symbol der „Floating Markets“ in Hongkong. Acht Wochen vor dem Wettkampfwochenende waren die Themen und Vorgaben von der Jury bekannt gegeben worden. „Die Strauß-Aufgabe war für mich die größte Herausforderung, weil es so ein fiktives Thema war“, sagte Herold. „Der Berliner Herzschlag, wo soll man da ansetzen?“
Die letzte halbe Stunde des letzten Wettkampfs bricht an. Stefan Göttle treibt seine Blumendraht zurechtschneidende Helferin zur Eile an, Christopher Ernst aus Thüringen bohrt mit der Bohrmaschine konzentriert Löcher in die dicken Bambusstängel. Eine Minute vor Schluss beginnen die Zuschauer rückwärts zu zählen. 34 Sekunden vor Schluss lächelt Jürgen Herold entspannt und wischt sich die Schweißtropfen vom Gesicht – geschafft.
Ein gutes Gefühl habe er, sagt Herold danach. Er liegt richtig. Zwei Sonderpreise für den besten Strauß sowie den besten Tischschmuck und den Gesamtsieg vor Stefan Göttle und Victoria Salomon: Herold räumt alles ab. Die Dankeschön-Sträußchen für Teilnehmer und Organisationsteam fallen nach all dem blumigen Bombast übrigens dann wieder sehr alltagskompatibel aus: ein einzelnes Blümchen bekommt jeder in die Hand gedrückt.
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