Westerwelle attackiert Merkel: Altes Bündnis, neue Freunde
In der letzten Parlamentswoche demonstriert die Große Koalition noch einmal Einigkeit. Merkels schärfster Kritiker ist ausgerechnet ihr Koalitionswunschpartner Westerwelle.
BERLIN taz Es ist eine Woche der Abschiede, der angekündigten wie der ungewissen. An diesem Freitag endet die letzte reguläre Parlamentswoche vor der Sommerpause, am Donnerstag hielt die Kanzlerin ihre letzte planmäßige Regierungserklärung vor dem Bundestag, es geht um den G-8-Gipfel der nächsten Woche. Viele Abgeordnete treten bei der Wahl im September nicht mehr an, andere werden die Rückkehr ins Parlament nicht mehr schaffen, manche hoffen auf ein Comeback.
Ebenso unklar sind die politischen Konstellationen. Wird Angela Merkel mit der FDP regieren, weiter mit der SPD oder gar mit den Grünen? Schafft es ihr Herausforderer Frank-Walter Steinmeier gegen alle Erwartungen doch, trotz eines schlechten SPD-Resultats ein Dreierbündnis mit Grünen und FDP zu schmieden?
Zumindest die letzte Variante sucht Merkel schon mal auszuschließen, indem sie ihre Pläne für die Zeit nach der Wahl in der Ich-Form ankündigt. In der Debatte halten sich die Akteure vorsichtshalber an die alte Ordnung. Der frühere Finanzminister Hans Eichel (SPD) lobt in seiner Abschiedsrede die Kanzlerin für ihre Worte zu Finanzmärkten und Klimapolitik, kritisiert aber ihre Steuerversprechen. "Sie wissen sehr genau, dass die Rechnung bezahlt werden muss", sagt Eichel. "Die Frage ist, wer sie bezahlt."
Merkel revanchiert sich für Eichels Lob, indem sie nach seiner Rede zur SPD-Bank eilt und den früheren Minister persönlich verabschiedet. Der Linke-Fraktionschef Oskar Lafontaine steht derweil unbeachtet am Rednerpult. Sie ist ein Ritual der zu Ende gehenden Wahlperiode, die demonstrative Missachtung, die dem früheren SPD-Chef von den Akteuren der großen Koalition zuteil wird. Diesmal zeigt Lafontaine, wie sehr ihn das kränkt. "Es wäre das Mindeste, dass Sie sich einmal kritische Reden anhören", ruft er Merkel hinterher.
Die schärfste Kritik an Merkel bringt, wie immer, FDP-Chef Guido Westerwelle vor. Man wundert sich, warum der Mann im Herbst mit der Union so dringend koalieren will. Eine neue Bankenaufsicht habe die Kanzlerin schon im Herbst angekündigt, nichts sei bislang geschehen, kritisiert Westerwelle. Man laufe Gefahr, die Chancen der Krise zu verpassen. Auch missfällt dem FDP-Politiker, dass Merkel an diesem Tag im Bundestag nicht die Atomkraft als Klimaretterin pries. Ihr Schweigen, so scheint es, deutet Westerwelle als neuerlichen Flirt Merkels mit den Grünen.
In den hinteren Reihen des Plenarsaals formiert sich unterdessen noch einmal die große Koalition. Lange reden die beiden parlamentarischen Geschäftsführer, Thomas Oppermann (SPD) und Norbert Röttgen (CDU). In hübscher Symmetrie plaudern Merkel und Steinmeier derweil mit ihren Fraktionschefs Volker Kauder (CDU) und dem scheidenden Peter Struck (SPD), Steinmeier im Anschluss auch mit dem derzeitigen Umweltminister Sigmar Gabriel, der als möglicher Struck-Nachfolger gehandelt wird.
Niemand aber diskutiert und gestikuliert, scherzt und lacht so ausführlich wie die beiden Herren in der allerletzten Reihe. Sie können sich kaum noch halten vor guter Laune, die beiden Ordnungspolitiker der Union, der scheidende CDU-Abgeordnete Friedrich Merz und der Aufsteiger von der CSU, Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg.
Kaum jemand beachtet dagegen den früheren CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer, der nur noch einen wenig aussichtsreichen Listenplatz ergattert hat. Er lobt die Kanzlerin mit einer Inbrunst, dass es fast schon peinlich ist. Doch Merkel hört nicht zu, sie hat sich nun ihrem Vertrauten Peter Hintze zugewandt. Mitleid ist unbekannt im politischen Geschäft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren