■ Länderfusion verschoben: Westberlin gewinnt
Wäre der Regierende Bürgermeister ein launiger Mensch und gestern Rosenmontag gewesen, Eberhard Diepgen hätte sich für seinen Kalauer in der Landtagsbütt einen Tusch verdient. „Insbesondere Wirtschaft und Verwaltung brauchen vor allem Sicherheit und berechenbare Rahmenbedingungen, daß der Zusammenschluß gewollt ist und in einem zeitlich absehbaren Rahmen erfolgen wird“, regierungserklärte Diepgen gestern im Abgeordnetenhaus radikal an der Wirklichkeit vorbei. Denn sicher sind nur zwei Dinge: die Fusion ist ferner denn je, und die SPD-Fraktion hat sich in unglaublicher Weise über den Tisch ziehen lassen. Weder wird die Volksabstimmung in diesem Jahr stattfinden, wie es die Sozialdemokraten forderten, noch lassen sich die christdemokratischen Koalitionspartner überhaupt auf ein Datum der Fusion festlegen. Das vereinbarte Jahr 1999 wird in der Koalitionsvereinbarung überhaupt nicht mehr erwähnt. Ist das planerische Sicherheit?
Als Gewinner im untergründigen Sabotagekampf haben sich damit die Westberliner Altkader aus der CDU erwiesen. Sie fürchten den Machtverlust in einem gemeinsamen Bundesland, bei dem der in vierzig Jahren Frontstadt gewachsene Filz der alten Seilschaften zerrisse. Für die Vertreter einer Schimmelkultur aus wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen öffentlichem Dienst und der Privatwirtschaft, die die Stadt unter sich aufgeteilt hatten und immer noch die politische Elite stellen, kommt Eigenwohl immer zuerst. Der Fusionsbefürworter Diepgen, dem solches Milieu eigentlich nicht fremd ist, wird da zum Exoten in seiner eigenen Partei – oder zum Büttenredner. Die SPD sollte nach ihrer Bauchlandung wenigstens eines noch tun: schleunigst die millionenteure Werbekampagne für die Länderfusion stoppen. Gerd Nowakowski
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