: West-Anschlag auf Ost-Kastanie
■ West-Hauseigentümerin ließ in Prenzlauer Berg ohne Genehmigung 100 Jahre alte Hofkastanie fällen
Prenzlauer Berg. Noch rechtzeitig vor den BVV-Wahlen ist am vergangenen Donnerstag zwischen den Mietern des Hauses Hiddenseer Straße 6 und der in Hannover lebenden Eigentümerin Renate Lange der Ost-West-Kampf neu aufgeflammt. »Ich wähle nie wieder CDU«, schimpfte ein älterer Mieter, und mit den Worten »Ich hasse euch doch alle« erklärte ein arbeitsloser Übersetzer den Wessis den Krieg.
Die Stimmung derart angeheizt hatte das illegale Abholzen einer rund 100 Jahre alten Hofkastanie vor dem Eckhaus Hiddenseer-/Senefelder Straße. Als der Mieter Klaus Laabs sich am Donnerstag mittag auf den Weg zur Kaufhalle machte, bekam er einen gehörigen Schreck. In der Krone des Baumes vor seinem Haus saß ein Bauarbeiter, der mit einer Kettensäge einem Ast nach dem anderen zu Leibe rückte. Auf die Frage, ob er eine Genehmigung habe, bekam der Mieter Laabs keine Antwort.
Selbst als sich der mutige Mieter aus Protest unter die Kastanie stellte, sägte der Bauarbeiter munter weiter, berichtete eine Anwohnerin. Erfolg hatten erst die eilends alarmierten Polizisten und Feuerwehrbeamte. Sie erklärten die Attacke gegen den Baum für rechtswidrig, untersagten jede weitere Sägerei und baten das Grünflächenamt zu prüfen, ob die Kastanie mit nur einem verbliebenen Hauptast überleben könne. Doch kurz nachdem die Uniformierten verschwunden waren, machte sich der Bauarbeiter auch am letzten Ast zu schaffen.
Während der Baumrettungsaktion war es zwischen Bewohnern und mit Modernisierungsarbeiten beschäftigten Bauarbeitern zu heftigen Beschimpfungen gekommen. »Wir haben uns fast geprügelt«, erinnert sich Klaus Laabs. Er selbst sei von westdeutschen Arbeitern mit den Worten »Du Stasi-Schwein, früher hast du doch auch nicht den Mund aufgemacht« beleidigt worden. Der Streit habe sich insbesondere an der früheren »kommunistischen« Wohnungsverwaltung KWV entzündet, die schriftlich zugesichert hatte, die Kastanie dauerhaft zu erhalten.
Der Westberliner Hausverwalter und Auftraggeber der illegalen Säge- Aktion, Klaus Köhler, war gegenüber der taz zu keiner Stellungnahme bereit. Mietern habe er jedoch angedeutet, daß die Kastanie dem Putz Schaden zufüge. »Schwachsinn«, kommentierte Klaus Laabs, »der Baum ist überhaupt nicht an die Hauswand herangekommen.«
Nach Auskunft einer Mitarbeiterin des Prenzlauer Grünflächenamtes sind illegale Baumfällungen im Bezirk schon längst »kein Einzelfall mehr«. Auch der Baumschutzbeauftragte von Treptow, Achim Fauter, weiß von mehreren illegalen Fällereien zu berichten. Er erinnerte daran, daß die Baumfrevler zu Schadensersatz und Bußgeld verdonnert werden können. So liege das Bußgeld für das Fällen einer 100 Jahre alten Kastanie bei 20.000 Mark.
»Die West-Eigentümer glauben wohl, daß wir doofen Ossis uns nicht wehren«, kommentierte die Grüne Liga den Vorfall. Bei illegalen Fällungen empfiehlt ihr Baumexperte Werner Schulz, »unbedingt« Anzeige zu erstatten, vorher den Baum zu fotografieren und Zeugen aufzuschreiben. Gerhard Heß von der MieterGemeinschaft wies darauf hin, daß ein Bußgeld nicht, wie in der Vergangenheit ebenfalls schon vorgekommen, auf die Mieter umgelegt werden darf. Micha Schulze
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