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Werbung für Europa

■ Die internationale Anzeigenindustrie rüstet sich / Britische und amerikanische Werbeagenturen dominieren das pan-europäische Geschäft

Teil 17: Rolf Paasch

Versprechungen, große Versprechungen, sind die Seele der Werbung (Samuel Johnson

Diejenigen, die mit Versprechungen ihr Geschäft machen, versprechen sich und ihren Kunden viel vom gemeinsamen Binnenmarkt. Grenzenloser Handel und grenzenlose Medien erfordern neue Arten des Verkaufs, bieten aber auch neue Chancen, sinnvolle wie nutzlose Produkte an den ideellen, postzweiundneunziger Gesamteuropäer zu bringen. 320 Millionen konsumhungrige VerbraucherInnen warten darauf, ihre Kaufkraft transnational ausbeuten zu lassen. Der Welt größter Anzeigenmarkt harrt seiner Eroberung. Und die Strategen der subtilen Suggestion bereiten sich zielstrebig darauf vor, die manipulativen Möglichkeiten im Europa länderübergreifender commercials auszunutzen.

Die Ausgaben für Werbung sind in Europa in den letzten acht Jahren um durchschnittlich 11,5 Prozent jährlich auf 49 Milliarden Dollar im Jahr 1988 angestiegen. Durch die Liberalisierung des Handels und die Aufhebung von Werbebeschränkungen im Fernsehen sowie zusätzlicher Werbemöglichkeiten auf Kabel- und Satelliten-Kanälen sind für die nächsten Jahre noch höhere Wachstumsraten zu erwarten.

Das schnellste Wachstum

bringt die „Peripherie“

Werbung, deren nachprüfbare Effizienz in den letzten Jahren zugenommen hat, wird auch von den in Europa operierenden Unternehmen zunehmend als notwendige Investition angesehen wobei der Anteil der Werbeausgaben am Bruttosozialprodukt in Europa noch weit unter dem US-Niveau liegt. Vor allem aufgrund der verschiedenen Restriktionen für die Fernsehwerbung in den einzelnen Ländern sind die Unterschiede in Ausgaben und Wachs

tumsraten in Europa enorm.

Da liegt die prognostizierte Zuwachsrate in der BRD mit ihren mickrigen 451 wöchentlichen TV-Werbeminuten (Großbritannien: 1.354; Italien: 7.189) bei ganzen viereinhalb Prozent, während französische Firmen zwölf, italienische 14 und spanische gar 25 Prozent mehr für Werbung ausgeben werden, deren Löwenanteil die Fernseh -ZuschauerInnen erreichen soll. Überhaupt soll die europäische „Peripherie“ (in der Sicht der Agenturen) in Zukunft kräftig zum Kauf angetrieben werden. Der Anzeigenmarkt wird allein in diesem Jahr in Portugal um 27 Prozent, in Griechenland um 22 und in der Türkei gar um 40 Prozent anwachsen.

Dabei will jetzt sogar die türkische Regierung in Europa für Europa werben. Für geschätzte drei bis sechs Millionen Mark soll die weltgrößte Anzeigenagentur Saatchi & Saatchi Europa-Parlamentariern und wichtigen Meinungsträgern in der EG den Beitritt der Türkei schmackhaft machen. „Die öffentliche Wahrnehmung der Menschenrechtssituation in der Türkei ist so schlecht“, rechtfertigte ein Sprecher von Saatchi & Saatchi in der vergangenen Woche den Deal, „daß sie große Schwierigkeiten haben dürfte, Freunde zu gewinnen

-es sei denn, die Situation selbst oder ihre öffentliche Wahrnehmung ändert sich.“ Nach dem Willen der Regierung Özal soll die in politischer Werbung erfahrene Agentur nun die menschenverachtende Politik gegenüber den Kurden und anderen unliebsamen „Elementen“ in der Türkei sozusagen werbewirksam wegretouchieren und durch ein positives Türkei-Bild ersetzen.

Europas Anzeigenindustrie, so steht zu befürchten, wird nach 1992 allenthalben die Grenzen zum guten Geschmack und zur Politik überschreiten. In Großbritannien haben sich der Erfolg der Regierung Thatcher und der Anzeigenindustrie in den letzten Jahren bereits gegenseitig bedingt. Ohne die ausgeklügelten Anzeigenkampagnen wäre das Privatisierungsprogramm Frau Thatchers kaum in der Bevölkerung durchsetzbar gewesen. Umgekehrt konnte die Anzeigenindustrie in den letzten vier Jahren von einer Verfünffachung des Regierungsetats für politische Werbung profitieren, der gegenwärtig zwischen 100 und 150 Millionen Pfund liegt.

Saatchi & Saatchi & andere

Saatchi & Saatchi mit Sitz in London war die erste europäische Werbeagentur, die bereits Ende der siebziger Jahre erkannte, daß die Konkurrenzfähigkeit und die Erfüllung multinationaler Kundenwünsche nur über den Aufbau eines internationales Netzwerkes gewährleistet werden konnte. Bis dahin hatten lediglich die großen US-Agenturen wie Young & Rubicam, McCann-Erickson (Esso, Coca Cola) und Ogilvy & Mather (Unilever, Shell, American Express) mit ihrer frühen Expansion nach Europa die Anforderungen der Multis erfüllen können. Nachdem die Saatchi-Brüder Charles und Maurice 1979, damals als Marktführer in Großbritannien, mit Polit-Werbung der konservativen Regierung Thatcher an die Macht verholfen hatten, begannen sie, in der ganzen Welt Advertising-, Marketing- und Consultancy-Firmen aufzukaufen. 1987 wurden die insgesamt 19 Saatchi-Tochterfirmen in zwei globale Agentur

Netzwerke zusammengelegt: in Saatchi & Saatchi Advertising Worldwide, die Nummer zwei, und in Backer Spielvogel Bates (BSB), der damaligen Nummer drei der internationalen Werberangliste.

Damit herrschten die Saatchi- Brüder über das größte Anzeigen-Konglomerat der Welt. Zwar gibt es für einige Waren einen Trend zur Ausdifferenzierung der Zielgruppen. Aber die Saatchis hatten frühzeitig den Haupttrend auf dem Werbemarkt erkannt: Eine „kulturelle und Konsumenten-Konvergenz“ werde es in den 90er Jahren ermöglichen, globale Marken mit globalen Messages von globalen Agenturen im Auftrag von globalen Anzeigenkunden an die Verbraucher zu bringen, deren Lifestyles sich zwischen Sizilien und dem Nordkap angleichen werden.

„In bezug auf das Gesundheitsbewußtsein, Essen, Trinken, Rauchen und Sport“, erklärte der Saatchi & Saatchi -Aufsichtsratsvorsitzende Ray Warman dem Magazin 'Global Business‘, „fühlen die Leute das Gleiche. Die Leute bekommen die gleiche message zur gleichen Zeit. Warum sollen sie sich nicht das gleiche commercial oder die gleche Anzeige anschauen.“

Big is beautiful

Da nur Agenturen mit internationaler Präsenz und umfassenden Serviceleistungen die immer weitreichenderen Anforderungen der pan-europäischen Anzeigenkunden erfüllen können, sind derzeit auch im internationalen Anzeigengeschäft freundliche und feindliche Übernahmen, Fusionen und neue Allianzen zu beobachten. Die US-Agentur Foote, Cone & Belding tat sich im vergangenen Frühjahr mit der größten französischen Agentur Publicis zusammen. Young & Rubicam und Grey (Procter & Gamble, Mars, General Foods) haben ihre europäisches Netzwerke erheblich erweitert. Und die US-Agentur Omnicom (Apple, Mobil Oil, Pepsi) streitet sich gerade mit der französischen Werbefirma BDDP um die Übernahme der britischen Agentur Boase Massimi Pollitt.

Der größte Coup gelang jedoch in der letzten Woche der britischen Agentur WPP, die vom früheren Saatchi -Finanzdirektor Martin Sorrell geleitet wird. WPP hatte sich schon vor zwei Jahren mit der Übernahme der viel größeren Agentur JWT in die Top ten der Werbewirtschaft katapultiert. Jetzt erledigte WPP an der Börse den kränkelnden US-Riesen Ogilvy & Mather.

Mit einem gemeinsamen Etat von rund 13,5 Milliarden Dollar liegt WPP/Ogilvy nur noch knapp hinter Saatchi & Saatchi zurück. Im Angebot an werbewillige Konzerne besteht ein großer Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Saatchi offeriert eine Fülle von Werbungs-, Marketing-, Design- und verwandten Dienstleistungen, die aufzubauen extrem teuer war - und so unprofitabel ist, daß immer neue Veränderungen im Management stattfinden. WPP beschränkt sich hingegen auf das Kerngeschäft und hat im letzten Jahr fast 38 Millionen Dollar abgeworfen.

Vor kaum vier Jahren gründete Sorrell, der bei Saatchi außer den Finanzen auch für die Übersee-Expansion zuständig war, seine Wire + Plastic Products (WPP), in der zunächst Einkaufswagen hergestellt wurden. Mithilfe britischer Investoren landete er dann Schlag um Schlag. Zwischen den großen Brocken von 1987 und '89 - für JWT zahlte er 566 Millionen Dollar, O&M kostet 794 Millionen - kaufte Sorrell zehn kleinere Werbeagenturen auf.

Gegenüber diesen britischen und US-amerikanischen Spielern haben die kontinentalen Werber nichts zu bestellen. Die Hamburger Agentur Springer und Jacoby ist die größte bundesdeutsche Agentur, die auch in bundesdeutschen Händen ist - und liegt nach der Top-50-Liste des Fachblattes 'der Kontakter‘ doch nur auf Platz 22. Ähnlich weit liegen auch in Spanien und Italien die heimischen Agenturen auf den heimischen Märkten zurück. Lediglich GGK aus der Schweiz (für die es schon Übernahmespekulationen gibt) und einige französische Agenturen haben eine geringe europaweite Bedeutung, ohne allerdings die absolute anglo-amerikanische Dominanz in der internationalen Werbewirtschaft beeinträchtigen zu können. Hinzu kommt allerdings, daß es nicht nur über Kapitalbeteiligungen, sondern auch über gemeinsame Einkaufspools gegenüber den Medien und über Kooperationen beim Marketing zur Bildung neuer Gruppen kommt.

Globale Agenturen, so wird der siegreiche WPP-Chef Martin Sorrell in 'Newsweek‘ zitiert, seien nicht nur erforderlich, weil die höchsten Zuwachsraten in der Werbebranche demnächst außerhalb der USA zu erwarten seien. Auch angesichts der zunehmenden Macht der Medienunternehmen müßten sich die Agenturen zusammenschließen, um vorteilhaftere Preise für die Werbeminuten herausschlagen zu können. „Die Agenturen“, so formuliert es der Medienanalyst der britischen Börsenfirma James Capel, Neil Blackley, „sind das Fleisch im Sandwich zwischen der anhaltenden Konzentration der Anzeigenkunden und der Entwicklung bei den Medienunternehmen.“

Gegenüber den Multis und Medienimperien sind die Anzeigenagenturen in der Tat selbst mit einem Jahreseinkommen von über 200 Millionen Dollar wahre Zwergfirmen. Um dieses Mißverhältnis auszugleichen, hat Saatchi & Saatchi im vergangenen Jahr beispielsweise die zentrale Medien-Einkaufsorganisation „Zenith“ gegründet, die mit jährliche Werbe-Etats von rund einer Milliarde Dollar für die Fernsehstation nun ein durchaus ernst zu nehmender Geschäftspartner ist.

Strivers, achievers,

climbers und trend setters

Die britischen Werbeagenturen sind so in jeder Hinsicht am besten plaziert, um den Kampf um Europas Anzeigen-Etats zu gewinnen, nicht zuletzt, weil ihre Werbespots an Subtilität, Raffiniertheit und Schick die kontinentale Konkurrenz um Längen schlagen. Wer je die alljährlich preisgekrönten britischen Top-Ads mit der biederen bundesdeutschen Reklame verglichen hat, wird dies bestätigen können. Werbespots als klug gestaffelte Fortsetzungsfolgen; die neuen, oft zweieinhalbminütigen Soap-opera-Anzeigen, deren Dramaturgie oft anspruchsvoller ist als der sie umspannende Film; Business Ads mit intrigierenden Geschäftsleuten, die es an Biestigkeit mit Dallas aufnehmen können; und TV-Anzeigen, deren komplexe Bildersprache sich dem Zuschauer erst nach mehrmaligem Betrachten erschließen.

All dies läßt die Werbung im britischen Fernsehen oft von der lästigen Unterbrechung zur willkommenen Abwechslung werden. Die britischen Werbeleute, so wußte der Chef der französischen Agentur Publicis im vergangenen September auf einem Treffen der europäischen Anzeigenindustrie zu berichten, seien dabei so bemüht, Langeweile zu vermeiden, daß ihre Anzeigen für andere Europäer oft zu anspruchsvoll und unverständlich seien.

Residuale Nationalismen

Noch gibt es bei der Entwicklung länderübergreifender Anzeigenkampagnen also Schwierigkeiten. Die langatmigen, mit Fakten vollgestopften bundesdeutschen Anzeigen würden das an Kreativität gewöhnte britische Fernsehpublikum in den Kollektivschlaf schicken, während die oft sexuell gewagten französischen Werbeclips in Großbritannien für helle Empörung sorgen würden. Doch dies sind, glaubt man den Strategen in der Werbebranche, nur residuale Nationalismen, die durch durch eine Neusegmentierung der Zuschauergruppen entlang von Lifestyle-Kategorien, durch den Rückgriff auf allgemein Menschliches (wie dem von Saatchi & Saatchi an Adam und Eva demonstrierten Euro-Deodorant „Natrel“) oder die Zuflucht zur image-reichen, amerikanisierten Jugendkultur werbetechnisch überwunden werden können. Im Ad-speak der Agenturen am Londoner Berkeley Square heißen sie belongers, self-explorers, strivers und achievers, Kategorien, die nichts anderes darstellen als die Ablösung der marxistischen Klassenanalyse und der liberal-soziologischen Schichtentheorien durch eine am Lifestyle orientierte Konsumententheorie. Ein Fünftel aller Europäer gehört danach zu den trend setters und climbers, was diese intelligente und hedonistische Spezies zur Zielgruppe für Produkte wie Heineken-Bier, Coca Cola und Marlboro-Zigaretten werden läßt.

Die PES-Männer

Dann gibt es in Europa rund sechs Millionen PES-Männer, benannt nach dem einflußreichen pan-european survey, einer Befragung, welche die Vorliebe dieser vierzigjährigen männlichen Geschäftsleute für Luxusgüter aller Art ergab.

Und schließlich gibt es noch den europäischen Nachwuchs mit seinen im Vergleich zu ihrer Elterngeneration bereits vereinheitlichten Geschmäckern in Sport, Musik und kulturellen Aktivitäten. Diese Jugend Europas beherrscht bereits das Pidgin-Englisch der Pop- und Anzeigenwelt und hat durch intensives Studium von Popvideos das schnelle Erfassen von Images und wortlosen Graphiken gelernt - was sie zum idealen Objekt der demnächst als pan-europäisch suggerierten Begierden werden läßt.

Wie in allen Bereichen der ökonomischen Orgie des europäischen Binnenmarktes wird 1992 auch in der Werbebranche eine (Anzeigen)-Kultur des kleinsten gemeinsamen - und in diesem Falle einfachsten - Nenners bringen. Werbung, so hat George Orwell einmal festgestellt, sei „das Klappern des Rührlöffels im Schweinetrog“. Daß aus diesem Trog demnächst 320 Millionen KonsumentInnen gefüttert werden sollen, hätte sich selbst der Schöpfer von 1984 für 1992 nicht träumen lassen.

Das meiste Zahlenmaterial stammt aus der ausgezeichneten Studie: „The Global Advertising Marketplace“, herausgegeben von der Londoner Börsenfirma James Capel&Co, London 1988.

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